Die Berücksichtigung von ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) bei Vergütungen kann eine Hebelwirkung bei der Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in Unternehmen entfalten. Die Analyse von Inrate ergab, dass 11 % der Unternehmen des MSCI All Country World Index (MSCI ACWI) ESG in Vergütungssystemen miteinbeziehen.
Von Martina Wengle und Christophe Volonté
Für Investoren wird Nachhaltigkeit bei der Berücksichtigung ihrer Anlageentscheide immer wichtiger. Auch Unternehmen setzen (daher) vermehrt umfassende Nachhaltigkeitsstrategien um. Damit sollen bei Unternehmensentscheidungen Einflüsse auf Umwelt, Gesellschaft und Unternehmensführung (Environmental, Social, Governance; ESG) berücksichtigt werden (z. B. Reduktion CO2-Fussabdruck, Förderung Mitarbeitergesundheit, Erhöhung Diversität auf Führungsebene). Ein effektives Instrument für die Umsetzung solcher Strategien ist die Ausgestaltung der Vergütungssysteme. Durch Anreizsetzung kann die Verhaltensweise von Mitarbeitenden und insbesondere von Führungskräften beeinflusst werden.
Um die Verbreitung von ESG-Kriterien in den Vergütungsmodellen zu analysieren, hat Inrate Daten von 169 Schweizer Unternehmen und von 2320 Unternehmen weltweit (ca. 80 % des MSCI ACWI) ausgewertet. Die Analyse basiert auf Informationen, die von Unternehmen in Geschäfts-, Vergütungs- oder Nachhaltigkeitsberichten sowie in freiwilligen Datenbanken wie zum Beispiel dem Carbon Disclosure Project (CDP) offengelegt werden. Eine mögliche Verzerrung gegenüber Unternehmen, die ESG-Kriterien in den Vergütungssystemen berücksichtigen, jedoch nicht darüber berichten, kann deshalb nicht ausgeschlossen werden. Nachfolgend wird die Anwendung von ESG-Kriterien in der Schweiz, weltweit und im sektoralen Vergleich analysiert. Weiter werden die Themenbereiche von ESG-Kriterien in Vergütungssystemen beschrieben, die die Unternehmen zurzeit in die Vergütungssysteme miteinbeziehen.
Mehr als ein Drittel der SMI-Unternehmen berücksichtigen Nachhaltigkeitsaspekte bei Vergütungen
In der Schweiz zeigt sich, dass vor allem gross kapitalisierte Unternehmen Nachhaltigkeit bei der Festlegung der variablen Vergütung berücksichtigen. So verfügen 35 % der Unternehmen im SMI, aber lediglich 7.7 % der Unternehmen im SMI Mid und 4.1 % der Unternehmen ausserhalb des SMI Expanded über ESG-Kriterien in den Vergütungssystemen. Im Vergleich schneiden damit die SMI-Unternehmen besser ab als die Unternehmen im MSCI Developed Markets oder Emerging Markets.
Nachhaltige Unternehmen berücksichtigen ESG-Kriterien häufiger als nicht nachhaltige Unternehmen
Unterschiede in der Berücksichtigung von ESG-Kriterien zwischen Unternehmen ergeben sich auch bezüglich ihrer Bewertung im ESG-Impact-Rating und zRating (siehe Box). Unsere Analyse verdeutlicht, dass nachhaltige Unternehmen (ESG-Impact-Rating A oder B) häufiger ESG-Kriterien bei den Vergütungen anwenden als nicht nachhaltige Unternehmen (17 % gegenüber 3 % der Unternehmen). Auch im Vergleich mit der Corporate-Governance-Bewertung schliessen die überdurchschnittlichen Unternehmen (zRating über 60) besser ab (11 % gegenüber 6 %).
ESG-Impact-Ratings: Die ESG-Impact-Ratings von Inrate sind ein Mass für die Nachhaltigkeit von Unternehmen. «ESG» steht für die Begriffe «Environmental», «Social» und «Governance», also Umwelt, Gesellschaft und Governance. Nebst der gängigen Analyse der Nachhaltigkeits- und Geschäftsberichte im Rahmen der CSR-Bewertung berücksichtigt die Methodik auch den Impact der Produktion und der Produkte entlang gesamter Produktlebenszyklen (d. h. inklusive Vorketten, Nutzungsphase und Entsorgung) auf Umwelt und Gesellschaft. Die Unternehmen werden analysiert und nach den folgenden Kategorien bewertet: A («nachhaltig oder im Übergang zur Nachhaltigkeit»), B («auf dem Weg zur Nachhaltigkeit»), C («nicht nachhaltig, aber mit geringer Auswirkung auf Gesellschaft und Umwelt») oder D («nicht nachhaltig»).
zRating: zRating ist die Bewertung der Corporate Governance von Unternehmen in der Schweiz. Dabei wird die Corporate Governance anhand von 59 qualitativen und quantitativen Kriterien ausgewertet. Die Kriterien sind in vier Kategorien aufgeteilt: 1) Aktionariat und Kapitalstruktur, 2) Mitwirkungsrechte der Aktionäre, 3) Zusammensetzung VR/GL und Informationspolitik sowie 4) Vergütungs- und Beteiligungsmodelle VR/GL. Daneben werden auch Stimmempfehlungen zu Generalversammlungen publiziert.
Ressourcenintensive Industrien vorne
Weltweit weisen 11.3 % der Unternehmen ESG-Anreize in Vergütungssystemen vor. Es bestehen jedoch beträchtliche Unterschiede zwischen den Industrien. Überraschenderweise wird die Rangliste angeführt von ressourcenintensiven und daher ökologisch weniger nachhaltigen Industrien in Bereichen wie der Energie, Versorgung oder Roh-, Hilfs-, Betriebsstoffe. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Umweltvorfälle oder Arbeitsunfälle insbesondere in diesen Industrien Kostentreiber und entsprechend ökonomisch relevant sind. Unterdurchschnittlich sind Unternehmen in den Sektoren Finanzwesen, Immobilien, Gesundheitswesen, Nicht-Basiskonsumgüter, Basiskonsumgüter und IT. Als Untergruppe im Gesundheitswesen integrieren nur gerade 6.5 % der Pharmaunternehmen ESG-Kriterien in ihren Vergütungssystemen. Interessanterweise haben diese Unternehmen aber ein überdurchschnittliches Corporate Social Responsibility (CSR) Reporting. Die Anreizsetzung erfolgt jedoch primär in Bezug auf finanzielle Konzernziele sowie individuelle Leistungsziele.
Fokus auf Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz von Mitarbeitenden
Der am meisten verwendete Themenbereich bezieht sich auf die Mitarbeitenden: 6.9 % der Unternehmen erwähnen solche Leistungskriterien bei Vergütungen. In diesem Zusammenhang werden vor allem Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, aber auch Talentförderung, Talentmanagement und Mitarbeiterzufriedenheit erwähnt. 4.9 % der Unternehmen sprechen Umwelt an. Hierbei werden generell umweltbezogene Themen, Energieeinsparungen, Emissionsreduktion und Wasser angeführt. Bei Sozialem (4.7 %) fliessen sodann Kundenzufriedenheit, Qualitätskriterien, Ethik und Unternehmenswerte sowie Stakeholder-Engagement und soziale Programme in die variablen Vergütungen ein. 3.1 % der Unternehmen verweisen allgemein auf eine Verknüpfung von Nachhaltigkeit oder CSR mit dem Leistungslohn.
ESG-Kriterien in Vergütungssystemen als potenzieller Hebel für die Nachhaltigkeit
Monetäre Anreize helfen die Interessen von Managern und Aktionären anzugleichen. Da Investoren vermehrt auf Nachhaltigkeitsperformance bei ihren Anlageentscheidungen achten, ist es daher naheliegend, wenn Vergütungssysteme ESG-Kriterien berücksichtigen. Die Integration von ESG-Kriterien in Vergütungssysteme entfacht eine potenzielle Hebelwirkung für die Nachhaltigkeit eines Unternehmens. Die Analyse von Inrate ergab, dass ESG-Kriterien durchaus in Vergütungssysteme miteinbezogen werden. So setzen 11.3 % der Unternehmen weltweit solche Anreize. Stark kapitalisierte Unternehmen sind zurzeit noch Vorreiter in diesem Gebiet. Auch im Industrievergleich bestehen beträchtliche Unterschiede. Zurzeit werden zudem in erster Linie Kriterien miteinbezogen, die sich auf Mitarbeitende beziehen.
Über die Autoren
Martina Wengle ist Senior Analystin bei Inrate. Sie verfügt über mehrjährige Berufserfahrung in den Bereichen Nachhaltigkeit und Governance.
Christophe Volonté ist Head Corporate Governance bei Inrate. Daneben lehrt und forscht er an den Universitäten Basel und Konstanz. Christophe Volonté beschäftigt sich seit 2007 vertieft mit Corporate Governance.