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Der Aktionärsbrief – hohe Kunst der Kommunikation?

Wie ist es um die Qualität der Aktionärsbriefe deutscher und schweizerischer Unternehmen bestellt? Dieser Frage geht eine aktuelle Studie nach, die wissenschaftlich die Verständlichkeit und Leserfreundlichkeit der Aktionärsbriefe deutscher und schweizerischer Unternehmen untersucht (siehe unten).

Den formalen Kriterien zufolge können die untersuchten Aktionärsbriefe als komplexeste Schriftstücke der Unternehmenskommunikation gekrönt werden. Mit Königsdisziplin hat das aber dennoch herzlich wenig zu tun. Im Ranking der Top-3- und Flop-3-Ergebnisse des Hohenheimer Verständlichkeits-Index (HIX) zeigen die Ergebnisse eine durchaus grosse Bandbreite (siehe Abbildung). Hier geht's zur Executive Summary.

Top-3- und Flop-3-Ergebnisse des HIX-Ranking

Komplexität und Unverständlichkeit

Insgesamt sind die Ergebnisse überraschend negativ ausgefallen. Zusammenfassend muss man die Briefe an die Aktionäre formal als schwer bis sehr schwer verständlich einstufen. Die Ergebnisse der Untersuchung stehen den Ergebnissen anderer Studien in nichts nach – die Aktionärsbriefe sind genauso schwer verständlich wie allgemeine Versicherungsbedingungen oder Geschäftsbedingungen von Banken. Es gibt erfreulicherweise aber auch Lichtblicke mit ausgesprochen positiven Ergebnissen. Vor allem bei den CEO-Briefen der DAX-30-Unternehmen erreichen die Top-3 platzierten Unternehmen hervorragende Werte.

In den Ergebnissen lassen sich auch andere Tendenzen erkennen. So ist festzustellen, dass bei den Aktionärsbriefen in der Schweiz die unverständlichsten Texte von Finanzunternehmen stammen. Mit Werten unter 1 Punkt sind diese Briefe an die Aktionäre als ungeeignet einzustufen. Allgemeine Versicherungsbedingungen schneiden in der Regel um einige Punkte besser ab auf der HIX-Verständlichkeitsskala.

Auf der anderen Seite lassen einige Ergebnisse Fragen offen: Wie kommt es, dass bei Daimler beispielsweise der Brief des CEO mit 13,39 ein Spitzenergebnis erreicht, aber beim Brief vom Aufsichtsrat die Werte im Keller liegen? Und wie kommt es, dass VW in ein und demselben Geschäftsbericht zwei Briefe veröffentlichen, die sprachlich meilenweit auseinander liegen? Erreicht der Aktionärsbrief des CEO einen Wert von immerhin 13,83 Punkten, liegt der Brief des Aufsichtsrats bei 5,38. Über den Qualitätsunterschied lässt auch nicht die Tatsache hinwegtäuschen, dass beide Briefe in ihrer Kategorie zu den Top-3-Briefen zählen. Es drängt sich die Vermutung auf, dass schlichtweg nicht auf die Sprache geachtet wurden diesem so wichtigen Textstück der Unternehmenskommunikation!

Barrieren für die Verständlichkeit

Betrachtet man die Briefe genauer, ist gut zu erkennen, woher die niedrigen Bewertungen kommen. So sind Sätze mit 40, 50 oder mehr Wörtern keine Seltenheit. Der längste Satz stammt aus dem Aktionärsbrief vom Aufsichtsrat der Deutschen Telekom mit sage und schreibe 96 Wörtern. Durchschnittlich weisen die Aktionärsbriefe einen Anteil von 36 Prozent an zu langen Sätzen (solchen mit mehr als 20 Wörtern) auf. Aber auch Schachtelsätze und Passivkonstruktionen kommen häufig vor. Betrachtet man alle Aktionärsbriefe, kommt man beim Anteil von Schachtelsätzen (3 und mehr Satzteile) auf 21,7 Prozent. Im Ländervergleich schneiden die deutschen Aktionärsbriefe mit einem Anteil von 16,4 Prozent Schachtelsätzen deutlich besser ab als die Briefe der Schweizer Kollegen mit einem Anteil von 27,1 Prozent.

Die Briefe an die Aktionäre sind zudem gespickt mit komplexen Wörtern. Zwar zeigen die Werte, dass der Anteil an langen Wörtern (mit mehr als 16 Buchstaben) fast immer unter 5 Prozent liegt, dennoch gibt es viele Begriffe, die nicht als «alltagstauglich» eingestuft werden können.

Verpasste Chance

Das Fazit zu den Studienergebnissen ist eindeutig: Die Mehrzahl der Unternehmen verpasst die Chance, ihre Leser mit dem Brief an die Aktionäre abzuholen und mitzunehmen. Mit unverständlicher Sprache kann man keine Visionen teilen, keine Sachverhalte erklären und vor allem kein Vertrauen schaffen.

Eine Kommunikation auf Augenhöhe bedeutet die Sprache des Lesers zu sprechen. Fachliche Details, genaue Zahlen und Hintergrundinformationen gibt es im Geschäftsbericht zur Genüge. Der Aktionärsbrief hat die Aufgabe, zu überzeugen, zu begeistern und vertrauensbildend zu wirken.

Eine auf den Leser ausgerichtete, moderne und vor allem verständliche Sprache steigert den Wirkungsgrad von Kommunikation. Hier haben Unternehmenslenker und Entscheider die Chance, mit relativ einfachen Mitteln eine grosse Wirkung zu erzielen. Spätestens im nächsten Jahr, zur Veröffentlichung des Geschäftsberichts 2016, haben die DAX- und SMI-Unternehmen wieder die Gelegenheit, neben den betriebswirtschaftlichen Werten auch die Sprachwerte auf dem Index emporklettern zu lassen.

Studie: die Verständlichkeit von Aktionärsbriefen

Die Studie zur Verständlichkeit ist ein Gemeinschaftsprojekt der Universität Hohenheim, des H&H Communication Lab, von CLS Communication und dem Center for Corporate Reporting (CCR). Analysiert wurden die deutschsprachigen Aktionärsbriefe der Geschäftsberichte 2015 der DAX-30-Unternehmen und der Top-20-SMI-Unternehmen. Eine zusammenfassende Bewertung der formalen Verständlichkeit liefert der Hohenheimer Verständlichkeits-Index (HIX). Der Index fasst verschiedene der genannten Texteigenschaften zusammen und berechnet daraus einen Verständlichkeitswert auf einer Skala von 0 bis 20. Ein Wert von 0 Punkten steht für «sehr schwer verständlich» und ein Text mit dem Wert von 20 gilt als «sehr einfach verständlich».

Die komplette Studie können Sie bestellen unter: info@corporate-reporting.com