Kein Instrument der Unternehmenskommunikation geniesst eine so hohe Glaubwürdigkeit wie der Geschäftsbericht. Und dies dürfte sich in den nächsten Jahren auch nicht ändern. Die Leser von Geschäftsberichten erwarten weiterhin einen Mehrwert über die rein regulatorischen Vorgaben hinaus. Sowohl für Verfasser wie für Leser bleibt die Finanzberichterstattung aber inhaltlich das zentrale Element. Themen der Nachhaltigkeit sowie Ausführungen zum Geschäftsmodell werden aktuell als weniger bedeutend eingestuft, ihr Stellenwert dürfte in Zukunft jedoch deutlich steigen. Bei den Ausgabeformaten hat das digitale PDF-Dokument die klassische Druckversion in der Beliebtheit überholt. Die künftige Beschränkung auf eine reine Online-Berichterstattung ist allerdings umstritten. Zu diesen Ergebnissen kommt ein Forschungsprojekt der Gesellschaft der Investor-Relations-Agenturen der Schweiz (GIRAS), des Center for Corporate Reporting (CCR) und des Instituts für Betriebswirtschaftslehre der Universität Zürich.
Die Ansprüche von Verfassern, Regulator und Lesern an Geschäftsberichte haben sich in den vergangenen Jahren umfassend und nachhaltig geändert. Was kann und soll der Geschäftsbericht heute und in Zukunft für sein Publikum leisten? Welche Bedeutung und welchen Nutzen hat er aus Sicht der Verfasser, der berichtenden Unternehmen? Diese Fragen behandelt ein Forschungsprojekt der Gesellschaft der Investor-Relations-Agenturen der Schweiz (GIRAS), des Center for Corporate Reporting (CCR) und des Instituts für Betriebswirtschaftslehre der Universität Zürich, des wissenschaftlichen Partners. Befragt wurden mittels Online-Umfrage zum einen an der SIX Swiss Exchange kotierte Emittenten und zum anderen deren Stakeholder (Finanzanalysten, Finanzmedien, institutionelle Investoren und Stimmrechtsberater).
Zielsetzung: Umfassende Transparenz und Glaubwürdigkeit
Alle Befragten sind sich weitgehend darin einig, dass der Geschäftsbericht auch in Zukunft mehr leisten muss, als es die regulatorischen Vorgaben erfordern. Dadurch soll das primäre Ziel, eine möglichst hohe Transparenz und Glaubwürdigkeit, erreicht werden. Tatsächlich attestieren sowohl die Unternehmensvertreter als auch deren Anspruchsgruppen dem Geschäftsbericht mehrheitlich, dass er innerhalb der Unternehmenskommunikation das Dokument mit der höchsten Glaubwürdigkeit ist. Eine wichtige Aufgabe des Geschäftsberichts ist zudem die Pflege der Marke und der Markenreputation. Geschäftsberichte gelten bei ihrer klaren Ausrichtung auf die Informationsbedürfnisse externer Zielgruppen als wertvolles Marketinginstrument, das als unterstützendes Kommunikationsmittel eingesetzt werden kann und mittels einer korrekten und objektiven Sachinformation Verständnis und Vertrauen schafft.
Zielgruppen: Institutionelle Investoren als primäre Adressaten
Übereinstimmend wird der Geschäftsbericht als Mittel der externen Kommunikation und zur Rechenschaft gegenüber Dritten – insbesondere übergeordneten Kontrollorganen – verstanden. Der Geschäftsbericht ist schon aus rein juristischer Sicht im Kern dazu gedacht, nach aussen detaillierte Informationen über die Unternehmenssituation und die vergangene Entwicklung bereitzustellen. Als hauptsächliche Empfängergruppe werden die bestehenden Aktionäre (insbesondere die institutionellen Investoren) sowie Geschäftspartner und Kunden genannt. Eine hohe Bedeutung kommt darüber hinaus auch den Standardsetzern und den Regulatoren sowie den potenziellen Investoren und Finanzanalysten und Finanzjournalisten zu.
Für die aktive Finanzkommunikation erachten die befragten Unternehmensvertreter jedoch den persönlichen Austausch in Analysten- und Medienpräsentationen oder Management-Meetings sowie Einzelgespräche als noch effektivere Instrumente. Die direkte Kommunikation und der persönliche Dialog sind wichtige Elemente, die der Geschäftsbericht alleine nicht abdecken kann. Mit den Geschäftsberichten wird indessen eine formelle und in der Faktenlage verbindliche Grundlage geschaffen, welche die direkte und persönliche Kommunikation unterstützt.
Der Geschäftsbericht gilt als verlässliche Darstellung des aktuellen Status des Emittenten und kann deswegen grundsätzlich auch in der internen Kommunikation eingesetzt werden, denn vollständige Geschäftsberichte belegen die Geschichte und erlauben Retrospektiven und Evaluationen. Als Publikation mit besonderer Bedeutung darf der Geschäftsbericht durchaus auch die Aufgabe erfüllen, Leistungen der Mitarbeitenden adressatengerecht und unter Berücksichtigung aller Hierarchiestufen zu würdigen.
Inhalte: Finanzbericht ist und bleibt zentrales Element
Die gegenwärtig wichtigsten Inhalte des Geschäftsberichts sind aus Sicht der Emittenten der Finanzbericht, der Lagebericht, die Strategie und der Vergütungsbericht. 95% der Umfrageteilnehmer aus dem Geschäftsberichtspublikum nutzen die Publikation in erster Priorität als Informationsquelle über die finanzielle Lage des Emittenten. Sie messen dem Finanzbericht weiterhin eine hohe Bedeutung zu.
Die ESG-Themen (Environment, Social, Governance) sowie Ausführungen zum Geschäftsmodell sind aktuell aus Sicht der berichtenden Unternehmen von eher untergeordneter Bedeutung. Ihr Stellenwert nimmt gemäss Einschätzung der Emittenten in den nächsten Jahren jedoch deutlich zu. Die ESG-Themen sind Bestandteil jeder Strategie und als Berichtsrubrik deshalb unabdingbar.
Dem Aufzeigen des Geschäftsmodells wird vom Publikum unter den wichtigsten Elementen des Geschäftsberichts geringe Bedeutung beigemessen. Dies sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Stakeholder eine Grundinformation dazu erwarten. Dies ist insbesondere wichtig angesichts der zunehmenden Forderung von institutionellen Investoren nach fokussierten Strategien und der Skepsis des Kapitalmarkts gegenüber allzu breit und komplex aufgestellten Unternehmensorganisationen. Bei Änderungen im Geschäftsmodell und in kritischen Situationen erwarten die Berichtsempfänger auf jeden Fall nachvollziehbare Erläuterungen zu den Anpassungen in der Strategie.
Weiter haben Emittentenvertreter der Unternehmenskultur, den Chancen und Risiken sowie zukünftigen Aktivitäten keinen hohen Stellenwert beigemessen. In Rechenschaftsberichten, welche die Entlastung durch die Kontrollinstanz zum Ziel haben, zählen die juristisch nüchterne Darstellung des Bisherigen und der aktuelle Status vorab in finanzieller Hinsicht. Die Stakeholder nutzen den Geschäftsbericht zudem in grosser Mehrheit auch, um sich über strategische Entwicklungen, zukünftige Aktivitäten sowie Chancen und Risiken zu informieren und Informationen zu erhalten, wie sich ein Unternehmen positioniert.
Ausgabeformate: «Ja, aber…» zur Online-Berichterstattung
Rund 90% aller Befragten sind davon überzeugt, dass die Online-Berichterstattung insgesamt an Bedeutung gewinnen wird. Das digitale PDF-Format des Geschäftsberichts ist für Absender und Empfänger wichtiger geworden als die klassische Druckversion. Eine Publikation in Form einer dynamischen Online-Version wird ebenfalls als interessant erachtet, rangiert aber in der Beliebtheitsskala der Leser zurzeit noch hinter der gedruckten Kurzversion. Mobile Online-Versionen hingegen werden kaum und nur von wenigen Unternehmensvertretern als sinnvoll eingeschätzt, mobile Apps finden gar keinen Anklang. Es ist davon auszugehen, dass mit der Zeit dynamische Formen des Geschäftsberichts an Bedeutung gewinnen werden; vorausgesetzt, es gelingt, sie wirklich benutzerfreundlich auszugestalten. Jeder Leser wird sich also aus dem zur Verfügung gestellten Informationsangebot seine massgeschneiderte Version des Geschäftsberichtes zusammenstellen können.
Aufwand: Trotz Digitalisierung keine Minderung in Sicht
Eine deutliche Mehrheit der befragten Emittenten geht nicht davon aus, dass der Aufwand für die Erstellung des Geschäftsberichts sinken wird. Hinter dieser Einschätzung mag die Überlegung stehen, dass die Digitalisierung zwar Einsparungen in der Umsetzung ermöglichen kann, dass die inhaltlichen Zielsetzungen der Geschäftsberichterstattung jedoch kompromisslos beibehalten werden müssen. Möglicherweise hängt die Beurteilung deshalb mit dem prognostizierten Trend zusammen, dass weitere regulatorische Vorgaben, Richtlinien und Standards die Entwicklung der Geschäftsberichterstattung prägen werden. Wird mit diesem Trend eine Volumenzunahme assoziiert, dann stellt sich die Frage, inwiefern dies die Emittenten zu einer Fokussierung auf das regulatorisch Geforderte zwingen wird, um zu verhindern, dass der Geschäftsbericht zu umfangreich wird.
Eckdaten zur Umfrage
Die Umfrage wurde mit Hilfe von zwei anonymisierten Online-Fragebögen realisiert. Die erste Ausführung diente der Befragung der Emittenten von Geschäftsberichten, die zweite Ausführung der Befragung der Anspruchsgruppen. Die Befragungen fanden statt im November/Dezember 2017 unter den Emittenten (Vertreter aus den Bereichen Kommunikation, Finanzen und Investor Relations von an der SIX Swiss Exchange kotierten Unternehmen der Kategorien Small Caps, Mid Caps und Large Caps) bzw. im April/Mai 2018 bei den Anspruchsgruppen («Stakeholder», u. a. Kapitalmarktvertreter, Analysten, Finanzjournalisten).
Eine illustrierte Zusammenfassung der Umfrageergebnisse «Der Geschäftsbericht heute und in Zukunft» können Sie über untenstehenden Button bestellen.
Über die Autoren
Walter Thomas Lutz ist Präsident der Gesellschaft der Investor Relations Agenturen der Schweiz GIRAS und Managing Partner von LUTZ Public Relations GmbH, Zürich. Der Ökonom verfügt über einen Executive MSc in Communications Management (EMScom) der Universität Lugano (USI) und hat das Advanced Strategic Management Programm der University of California (UCLA) durchlaufen. Seine beruflichen Stationen umfassen die Leitung der Kommunikation der Medienunternehmen Ringier und Jean Frey (heute Ringier Axel Springer Schweiz), Spezialist für Unternehmenskommunikation bei EY (Schweiz) und Journalist (Tageszeitung und Radio).
Als Projektleiter ist Benjamin Kaltwasser für die Weiterentwicklung des Dienstleistungsangebots sowie für Marketing und Kommunikation des Center for Corporate Reporting (CCR) verantwortlich. Er unterstützt unsere Mitglieder und das CCR-Team zudem bei inhaltlichen Fragestellungen als Knowledgemanager und Consultant.