Der ESG-Report ist einerseits zu einem zentralen Instrument für die Kommunikation mit Anteilseignern, Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern und weiteren Stakeholdergruppen geworden. Andererseits gilt er vielen Unternehmen vor dem Hintergrund der regulatorischen Vorgaben schlicht als «Compliance-Übung». Welche primäre Motivation steht also hinter der Veröffentlichung eines ESG-Reports? Welchen Reifegrad haben die Angaben zu Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen? Und wie hoch sind die Kosten, die Unternehmen für die Erstellung auf sich nehmen? Eine Umfrage unter grossen europäischen Unternehmen bietet einen Einblick in den Status Quo des ESG-Reportings und zeigt mögliche Entwicklungsszenarien.
von Prof. Dr. Thomas Berndt und Andreas Weyer, M.Sc.
Insgesamt haben 20 grosse europäische Unternehmen (davon 17 mit Hauptsitz in der DACH-Region) ihre Hauptmotive für die Erstellung des ESG-Reports, eine Selbsteinschätzung des Reifegrads ihrer nachhaltigkeitsbezogenen Angaben und eine Aufschlüsselung ihrer Erstellungskosten offengelegt. Die teilnehmenden Unternehmen erwirtschafteten im Geschäftsjahr 2022 mit durchschnittlich 11'200 Vollzeitäquivalenten einen mittleren Jahresumsatz von (einheitlich umgerechnet) ca. 4 Milliarden Schweizer Franken.
Hauptmotive
Gefragt nach den Hauptmotiven für die Offenlegung nachhaltigkeitsbezogener Informationen sind sich die teilnehmenden Unternehmen einig: Es geht in erster Linie um das Erfüllen von Investorenbedürfnissen und regulatorischen Anforderungen. Vor dem Hintergrund des dynamischen regulatorischen Umfelds zum ESG-Reporting verwundert dies nicht, sieht sich doch fortan ein wachsender Anwenderkreis neuen Berichtsanforderungen gegenüber, die beispielsweise aus der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) bzw. den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) und der Taxonomie-Verordnung zur Bestimmung des Nachhaltigkeitsgrades wirtschaftlicher Aktivitäten resultieren. Mit der Veröffentlichung ihres Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums hat sich die Europäische Union zum Ziel gesetzt, Kapitalflüsse auf nachhaltige Investitionen umzulenken. Interessanterweise spiegelt sich dieses Ziel gegenwärtig nur bedingt in den Umfragedaten wider: So messen die teilnehmenden Unternehmen der «Senkung von Kapitalkosten» als Motiv für die Erstellung des ESG-Reports die geringste Bedeutung zu. Die Offenlegung nachhaltigkeitsbezogener Informationen ist zumindest für einige Unternehmen gegenwärtig noch nicht mit bedeutsamen Finanzierungsvorteilen verbunden.
Reifegrad
Die teilnehmenden Unternehmen wurden darüber hinaus um eine Selbsteinschätzung zum Reifegrad ihres ESG-Reports gebeten. Dieser entspricht heute nur in etwa einem Drittel aller Unternehmen dem des Finanzberichts. Ausserdem existieren deutliche Unterschiede im Hinblick auf die Offenlegungen zu Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen: So fällt der durchschnittliche Reifegrad von Offenlegungen zu Umweltthemen heute am höchsten aus (3.8/5 Punkte); Angaben zu Governance- (3.45/5 Punkte) und Sozialthemen (3.3/5 Punkte) liegen teils deutlich dahinter. Mit den neuen Anforderungen der CSRD an die Relevanz, Vergleichbarkeit und Zuverlässigkeit von Nachhaltigkeitsinformationen wird auch der Reifegrad der Offenlegungen zu Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen steigen: So sagen fast vier von fünf Unternehmen voraus, dass der Reifegrad ihres ESG-Reports in drei Jahren dem ihres Finanzberichts entsprechen wird. Am stärksten weiterentwickeln werden sich dabei die Angaben zu sozialen Belangen, deren Reifegrad (4.2/5 Punkte) dann dem der Angaben zu Governance-Themen gleichen wird. Der Rückstand gegenüber den in drei Jahren weitgehend ausgereiften Umweltangaben (4.65/5 Punkte) wird sich allerdings nicht vollständig aufholen lassen.
Kosten der Erstellung
Die Höhe der internen Personal- und Sachkosten sowie weiterer mit der Erstellung des ESG-Reports verbundener Kosten variiert erheblich mit der Grösse und Komplexität der berichterstattenden Unternehmen. Mit der schrittweisen Einführung erhöhter Berichtsanforderungen werden sich die durchschnittlichen wiederkehrenden Gesamtkosten der Erstellung von heute 408'000 Schweizer Franken auf 785'000 Schweizer Franken in drei Jahren voraussichtlich nahezu verdoppeln.
Der grösste Anteil an den Gesamtkosten entfällt auf die Personalkosten: Während Unternehmen heute im Mittel 1.7 Vollzeitäquivalente für die Erstellung des ESG-Reports einsetzen, werden hierzu in drei Jahren bereits 2.7 FTE nötig sein – unter Berücksichtigung steigender Lohnkosten ein Anstieg um 123%. Hinzu kommen interne Sachkosten in Höhe von 95'000 Schweizer Franken (in drei Jahren: 163'000 Schweizer Franken) für die Implementierung neuer Berichtsprozesse und Anpassungen an der bestehenden IT-Infrastruktur. Während die CSRD für nachhaltigkeitsbezogene Informationen derzeit lediglich eine externe Prüfung mit begrenzter Sicherheit vorsieht, zielt sie langfristig auf eine verpflichtende inhaltliche Prüfung des ESG-Report mit hinreichender Sicherheit ab. Gemäss der von der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) beauftragten Kosten-Nutzen-Analyse zur Einführung der ESRS würde die Erhöhung der Prüfungssicherheit zu einer Verdopplung der Prüfungskosten führen. Auch die Umfrageteilnehmer teilen diese Einschätzung: So wird für die durchschnittlichen externen Prüfungskosten in Höhe von 54'000 Schweizer Franken ein Anstieg auf 112'000 Schweizer Franken in drei Jahren prognostiziert. Weitere Kosten für externe Dienstleistungen wie etwa die Datenerhebung und -zusammenstellung oder die grafische Aufbereitung von Berichtsinhalten beziffern die Unternehmen heute mit 45'000 Schweizer Franken. Hinzu kommen derzeit 38'000 Schweizer Franken für den Dialog mit Anteilseignern, Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern und weiteren Stakeholdern. Kosten im Zusammenhang mit ESG-Ratings wie etwa die Bereitstellung von ESG-Informationen und die Durchführung von Interviews mit Ratingagenturen betragen heute durchschnittlich 21'000 Schweizer Franken.
Ausblick
Zusammenfassend weisen die Umfrageergebnisse in eine einheitliche Richtung: Die Europäische Union treibt die Gleichwertigkeit von ESG- und Finanzberichterstattung stärker voran denn je. Mit dem ambitionierten Ziel, die Transparenz und Langfristigkeit in der Finanz- und Wirtschaftstätigkeit zu fördern, wird sie bestehende regulatorische Anforderungen an die Relevanz, Vergleichbarkeit und Zuverlässigkeit von Nachhaltigkeitsinformationen weiter verschärfen. Schon allein wegen der Prüfungspflicht wird die ESG-Berichterstattung künftig die gleichen qualitativen Anforderungen erfüllen müssen, wie sie in der Finanzberichterstattung bereits etabliert sind. Unzweifelhaft wird dies zunächst zu höheren Erstellungskosten führen. Allerdings werden einzelne Kostenbestandteile etwa durch die Standardisierung und Automatisierung von Berichtsprozessen im Zeitablauf reduziert werden können. Dazu bedarf es auch einer Abwägung zwischen wesentlichen und daher intern auszubauenden Kernkompetenzen zum ESG-Reporting und dem externen Zukauf ausgewählter Unterstützungsdienstleistungen – und nicht zuletzt Klarheit darüber, welche primären Ziele mit dem ESG-Reporting als Teil der unternehmensweiten Nachhaltigkeitsstrategie überhaupt verfolgt werden sollen.
Interesse geweckt? Sichern Sie sich jetzt kostenlos Zugriff auf alle Ergebnisse der diesjährigen «Studie zum ESG-Reporting» per Anfrage an andreas.weyer@unisg.ch. Die Studie wurde finanziell unterstützt durch Finance Diagnostics (https://financediagnostics.ch/). Die Ergebnisse einer vergleichbaren Umfrage aus dem Jahr 2021 sind erschienen im Betriebs-Berater, Heft 22 (2022), S. 1259 ff.
Prof. Dr. rer. pol. Thomas Berndt
ist Inhaber des Lehrstuhls für Rechnungslegung und Direktor am Institut für Law and Economics der Universität St.Gallen (ILE-HSG).
Andreas Weyer, M.Sc.
ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Law and Economics der Universität St.Gallen (ILE-HSG).