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Nachhaltige Kommunikation – Stakeholder Engagement als Erfolgsfaktor in turbulenten Zeiten
Die Frage der zielführenden Kommunikation von Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Dabei geht es nicht nur um die Erfüllung umfassender rechtlich bindender Berichterstattungsstandards, die – wie etwa im Falle der Europäischen Nachhaltigkeitsrichtlinie (CSRD), der Europäischen Lieferketten- Richtlinie (CSDDD) oder dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz der Bundesrepublik Deutschland – den Unternehmen hohe Transparenzvorgaben machen. Vielmehr dreht sich die Debatte im Kern um die Akzeptanz unternehmerischen Handelns angesichts deutlich gestiegener gesellschaftlicher Legitimitätserwartungen.
Von Christof Ehrhart
Nur Unternehmen, die ihre Nachhaltigkeit entlang relevanter Kriterien detailliert und glaubwürdig gegenüber der breiten Öffentlichkeit kommunizieren, können heute dauerhaft ihre «License to operate» oder gar ihre «License to exist» bewahren. Hintergrund dieser Entwicklung ist, dass die Debatte um die richtige Balance zwischen wirtschaftlicher Wertschöpfung, nachhaltigem Wohlstand und sozialer Teilhabe ein neues Leitbild für die Wirtschaftsordnung des 21. Jahrhunderts hervorgebracht hat: den «Stakeholder-Kapitalismus». Für Unternehmen bedeutet dies, eine gänzlich neue Perspektive einzunehmen – statt der traditionellen Zielgruppen-Orientierung «von innen nach aussen» eine Anspruchsgruppen-Orientierung «von aussen nach innen».
Das Ende des klassischen Kommunikationsverständnisses
Wenn «Anspruchsgruppen-Orientierung» zu einem wesentlichen Erfolgsfaktor unternehmerischen Handelns wird, dann steht die Frage im Raum, wie dieser Anspruch in der Praxis gelebt und umgesetzt werden kann. Es ist offensichtlich, dass ein neues Verständnis des wirtschaftlichen Geschehens im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang ein Umdenken in Managementdisziplinen erfordert. Im Falle des Kommunikationsmanagements geht es also nicht (nur) um die Frage der noch besseren «Kommunikation von Nachhaltigkeit», sondern um die «Nachhaltigkeit der Kommunikation» an sich. Ein klassisches Kommunikationsverständnis, bei dem ein Sender mit Botschaften auf eine passive Zielgruppe einwirkt, um über kontrollierte massenmediale Kanäle Zustimmung zu erwirken, greift hier deutlich zu kurz. Es braucht einen Paradigmenwechsel in der Kommunikation.
«Stakeholder Engagement» als Fähigkeit von Unternehmen, ihre Anspruchsgruppen zu konsultieren, mit ihnen zu diskutieren und letztlich auch zu kooperieren, wird hier zu einem zentralen Erfolgsfaktor. Diese Entwicklung vollzieht sich allerdings aktuell nicht in einer Phase der Stabilität und Normalität, sondern in turbulenten Zeiten, in denen Wirtschaftlichkeit und Wettbewerb als akzeptierte Grundprinzipien infrage gestellt werden, während gleichzeitig die Anforderungen an gesellschaftliche Leistungsbeiträge und auch ihre politische Positionierung von Unternehmen steigen. Dabei wirken Kommunikationslogiken, auf die schon John Ruggie, ehemaliger Sonderbeauftragte der UN für Unternehmen und Menschenrechte, hingewiesen hatte. Während umfassende Berichterstattungspflichten die proaktive Kommunikation der Unternehmen erzwingen («knowing and showing»), stellen die Anforderungen kritischer Stakeholder wirtschaftliche Akteure regelmässig an den Pranger («naming and shaming»).
«Den Finger am Puls der Öffentlichkeit, das Ohr auf dem Gleis der Dialoge.»
Unternehmen vor der Gretchenfrage
Hier spielt die völlige Umwälzung des Herstellungsprozesses von Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren eine verstärkende Rolle. Wo Massenmedien zuvor als Gatekeeper und Aggregatoren für den gesellschaftlichen Diskurs innerhalb «einer» Öffentlichkeit gesorgt haben, schaffen heute v. a. soziale Medien «multiple» Öffentlichkeiten, die miteinander in Konkurrenz um Deutungshoheit treten. Insbesondere bei politisch aufgeladenen Themen wird Unternehmen heute immer öfter die «Gretchenfrage» gestellt und die Antwort dann auch öffentlichkeitswirksam dokumentiert. Die Unternehmenslisten von Yale-Professor Jeffrey Sonnenfeld sind hier beispielhaft.
Erschwerend kommt hinzu, dass die hier zu klärenden Fragen oftmals Dilemmakonstellationen berühren, die permanente Neukalibrierung von Positionen im Austausch mit kritischen Anspruchsgruppen erfordern. Entscheidender Erfolgsfaktor ist hier v. a. die Identifikation neuralgischer Punkte, an denen die unvermeidlichen Abweichungen zwischen ökologischen Notwendigkeiten, wirtschaftlichen Erfordernissen und sozialer Akzeptanz in einer zunehmend fragmentierten Öffentlichkeit zu unkalkulierbaren Risiken für die einzelnen Akteure und die «offene Gesellschaft» insgesamt werden. Die Soziologen Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser sprechen im Rahmen ihrer Diagnose der Gegenwartsgesellschaft von «Triggerpunkten».
Turbulenz durch Triggerpunkte
Die wahrgenommene Turbulenz im Diskursumfeld von Unternehmen ergibt sich im Wesentlichen aus der Existenz und Wirkung dieser Triggerpunkte. Um sie mit dem Ziel nachhaltiger Kommunikation zu erkennen, braucht es mehr als immer detailliertere Analysen der öffentlichen bzw. veröffentlichten Meinung. Und der Umgang mit ihnen kann sich nicht in Herstellung maximaler Transparenz erschöpfen, da diese nicht zwingend Vertrauen stiftet. In den Mittelpunkt des Interesses rücken hier Erwartungen interner und externer Anspruchsgruppen und so werden Fähigkeiten und Erfahrungen des Kommunikationsmanagements relevant.
Zielführendes Stakeholder Engagement ergibt sich nicht automatisch aus Dialogorientierung und organisatorischer Empathie. Tatsächlich sind gleich drei einander bedingende Erfolgsfaktoren wesentlich: Haltung, Strategie und Methode. Die Orientierung an den Bedürfnissen und Interessen von Anspruchsgruppen setzt ein Kommunikationsverständnis voraus, das in Teilen gegen die Intuition gerichtet ist. Nur, wenn Unternehmen in ihrer Positionierung thematische Relevanz höher einschätzen als mediale Signifikanz, gelingt ihnen die Ausrichtung an «schwachen Signalen» des gesellschaftlichen Diskurses. Nur wer die Zielgrösse des Kommunikationsmanagements weiter fasst als «Reputation», wird Ressourcen für Stakeholder Engagement einsetzen. In der Folge ergibt sich eine kommunikative Grundhaltung, die den langfristigen Aufbau von «Beziehungskapital» im Austausch mit wesentlichen Anspruchsgruppen in den Vordergrund rückt und dabei die traditionellen Kommunikationsdisziplinen wie Media Relations und Brand Marketing als Instrumente und nicht als Zielfelder versteht.
«Von Kommunikation der Nachhaltigkeit zu Nachhaltigkeit der Kommunikation.»
Haltung, Strategie und Methode des Stakeholder Engagements
Aus der beschriebenen stakeholderorientierten Grundhaltung nachhaltiger Kommunikation ergibt sich ein anderer strategischer Fokus. Denn wer Beziehungskapital mit internen und externen Anspruchsgruppen anstrebt, muss die kontinuierliche breite Abstrahlung von medialen Signalen mit der systematischen Aufnahme von v. a. menschlich unmittelbaren Signalen zwecks «Bondings» koppeln.
Das Ohr auf dem Gleis
In der konkreten Umsetzung erfordert Stakeholder Engagement demnach insbesondere ein Umschalten von den Methoden der «grossen Zahlen» – wie Kampagnen und Publikationen – auf Vorgehensweisen der «kleinen Zahlen» – wie Dialoge, Gespräche und Zirkel–, deren Erfolg allenfalls an der Wesentlichkeit der behandelten Fragestellungen gemessen wird. Beispielhaft für diese «Architectures of Listening»,wie Jim Macnamara sie benennt, sind fokussierte Stakeholder-Befragungen – wie etwa «Materialitätsanalysen», Stakeholder-Dialoge zum Gedankenaustausch auf Augenhöhe und Stakeholder-Partnerships zur gemeinsamen Erarbeitung von Lösungsansätzen. Die Robert Bosch GmbH stand so allein im Jahr 2023 mit rund 1500 Stakeholdern aus u. a. NGOs, Bürgergesellschaft, Wissenschaft und Politik im Rahmen von rund einem Dutzend Veranstaltungen im direkten Austausch.
Stakeholder Engagement ist der Erfolgsfaktor nachhaltiger Kommunikation in turbulenten Zeiten – mit dem Finger am Puls der medialen Öffentlichkeit(en) und zugleich dem Ohr auf dem Gleis zwischenmenschlicher Dialoge.
Stakeholder Engagement - Zentrale Erfolgsfaktoren
«Der «Stakeholder Kapitalismus» erfordert einen Paradigmenwechsel im Kommunikationsmanagement, um den hohen Erwartungen von Anspruchsgruppen gerecht zu werden und so nachhaltige Kommunikationsleistung zu ermöglichen. ‹Stakeholder Engagement› als Fähigkeit von Unternehmen, ihre Anspruchsgruppen zu konsultieren, mit ihnen zu diskutieren und letztlich auch zu kooperieren, wird so zu einem zentralen Erfolgsfaktor in turbulenten Zeiten.»
Stakeholder-Kapitalismus braucht nachhaltige Kommunikation
Zentrale Perspektive für Unternehmen ist «von aussen nach innen»
Turbulenzen im Umfeld und neue Öffentlichkeit sorgen für Dilemmakonstellationen
Erfolgsfaktor im Umgang mit «Triggerpunkten» ist Stakeholder Engagement
Stakeholder Engagement erfordert Haltung, Strategie und Methode
Prof. Dr. Christof Ehrhart
leitet weltweit den Bereich Kommunikation und Regierungsbeziehungen der Robert Bosch GmbH. Er blickt auf mehr als 25 Berufsjahre im Kommunikationsmanagement zurück. An der Universität Leipzig ist er Honorarprofessor für Internationale Unternehmenskommunikation.