← zurück zur kompletten Ausgabe
Der digitale Medienwandel und die Krise der Nachrichtennutzung
Im digitalen Zeitalter hat sich die Mediennutzung drastisch verändert. Die Vielfalt an Informationsquellen nimmt im Netz zu, aber immer weniger greifen Menschen auf professionelle, journalistische Medien zu. Dies stellt traditionelle Medien wie auch die Gesellschaft selbst vor grosse Herausforderungen: Denn traditionelle Medien bieten eine vergleichsweise gute Informationsqualität an.
Von Mark Eisenegger und Linards Udris
In vielen Ländern haben sich die mediale Infrastruktur und die Mediennutzung im digitalen Zeitalter drastisch verändert. Das Internet senkt die Hürden, so dass Informationen viel rascher produziert und ungefiltert verbreitet werden können. Spätestens seit dem Aufstieg der Tech-Plattformen lässt sich nun von einer «high-choice»-Medienumgebung sprechen, in der Nutzer:innen potenziell auf unzählige verschiedene Newsquellen –qualitativ gehaltvolle und andere zugreifen können wie nie zuvor.
Dabei kristallisiert sich heraus: Immer weniger Menschen greifen tatsächlich auf News zu. Und immer mehr geraten die professionellen, journalistischen Medien, die seriöse Informationen anbieten, in Schwierigkeiten. Dies zeigen Daten aus einer internationalen repräsentativen Befragung im Rahmen des Reuters Institute Digital News Report, an dem das fög als Schweizer Länderpartner partizipiert.
Rückgang der News-Nutzung
Dieser internationale Trend betrifft auch die Schweiz. Laut Befragungen sagt rund die Hälfte der Bevölkerung, dass sie sich (sehr) für Nachrichten interessiert. Insgesamt nimmt das Nachrichteninteresse ab – und auch die Nutzung von Nachrichten (siehe Grafik). Bemerkenswert ist: Nicht nur die mindestens wöchentliche Nachrichtennutzung von traditionellen Kanälen geht seit 2016 um insgesamt 29 Prozentpunkte (PP) zurück – bei Print um 30 PP, beim Fernsehen um 18 PP und beim Radio um 15 PP – sondern auch die Nutzung von neueren, digitalen Kanälen: Der Rückgang bei sozialen Medien beträgt 10 PP, bei Newssites oder Apps von Medienmarken sind es 8 PP.
Der sinkende Nachrichtenkonsum erfasst alle Altersgruppen. Das oft verwendete Bild, dass sich «die Jungen» von Nachrichten ausklinken, aber mit steigendem Alter die Nachrichten wieder zu schätzen lernen, kann empirisch nicht bestätigt werden. Was die genauen Ursachen für diesen umfassenden Rückgang sind, treibt die Forschung um: Nachrichtenüberlastung ist ein Stichwort, Verdrängungseffekte durch das riesige Angebot unter anderem an Unterhaltung ein anderes.
Tech-Plattformen als grosse Herausforderung
Wenn Menschen auf den Tech-Plattformen trotzdem Nachrichten konsumieren, dann nicht unbedingt von traditionellen Anbietern. Bekannte professionelle Medien sind für die Nutzer:innen nur eine von vielen Nachrichtequellen. Influencer:innen und Prominente auf Instagram oder normale Bürger:innen auf TikTok werden vom Plattformpublikum in der Regel ebenfalls als Nachrichtenquellen genutzt. Dabei haben Nutzer:innen auf den Plattformen einerseits ein breiteres Verständnis von «Nachrichten» und denken andererseits nicht unbedingt an professionelle Informationsmedien. Viele Nutzer:innen verlieren auf den Plattformen die Bindung an traditionelle Nachrichtenmarken und können sich immer weniger daran erinnern, von welchen Quellen die «Nachrichten» stammen. Typisch werden Aussagen wie «Ich habe das gestern auf Instagram gesehen», auch wenn die Information von einem Newsmedium stammte.
Sinkende Nachrichtennutzung, steigende Konkurrenz durch die Plattformen im Nutzermarkt (und im Werbemarkt!) – bereits dies setzt den professionellen Informationsjournalismus unter Druck. Hinzu kommt, dass sich das Publikum auf viele verschiedene Kanäle verteilt. Herkömmlichen Kanälen (Print, Radio, TV) kommt immer noch eine grosse Bedeutung zu. Für rund die Hälfte der Schweizer:innen hingegen sind digitale Kanäle wie Newssites und die verschiedenen Social-Media-Plattformen mittlerweile die Hauptinformationsquelle – 9 PP mehr als noch 2016. Der Journalismus muss also mit tendenziell weniger Ressourcen auf immer mehr Kanälen präsent sein.
Inhaltliche Medienkonzentration
Vor diesem Hintergrund ist es erwartbar und zugleich problematisch, dass Medien sich teilweise zusammenschliessen und Sparmassnahmen in den Redaktionen umsetzen. In der Schweiz sind vermehrt Zentralredaktionen entstanden, bei denen auf dem Papier unabhängige Titel immer mehr Inhalte untereinander austauschen. Diese «inhaltliche Medienkonzentration» führt dazu, dass in vielen Regionen der Schweiz messbar häufiger in verschiedenen Zeitungen dieselben Artikel, insbesondere über internationale und nationale Politik sowie Wirtschaftsthemen zu lesen sind. Auf der Ebene des journalistischen Mediensystems haben wir es deshalb mit einem Vielfaltsverlust zu tun.
Gute Qualität bei den einzelnen Medienangeboten
Wenn wir uns unabhängig von dieser inhaltlichen Medienkonzentration die einzelnen verbliebenen Medienangebote anschauen, dann stellen wir fest, dass dort die Qualität nach wie vor relativ hoch ist. Das einzelne «Produkt», das ein:e Leser:in nutzen kann, ist in der Regel gut. Auf einer 10-stufigen Skala zeigen unsere Daten im Jahrbuch «Qualität der Medien», dass die Medienqualität 2022 trotz der beschriebenen Herausforderungen in einem relativ positiven Bereich liegt (Score 6,5) und sich seit 2015 verhältnismässig stabil entwickelt. Hinter diesem positiven Bild stehen aber unterschiedliche Entwicklungen und unterschiedliche Medien, die eine differenzierte Betrachtung erfordern.
Auf der einen Seite ist die Berichterstattung deutlich relevanter geworden. Die Newsmedien fokussieren mehr auf demokratierelevante «Hardnews ». Auch die Einordnungsleistungen der Medien sind vergleichsweise stabil geblieben. Die Newsmedien bleiben nicht bei «Breaking News» stehen, sondern vermitteln meistens auch Hintergrundinformationen. Zudem nehmen die redaktionellen Eigenleistungen inkl. Texten aus Zentralredaktionen gegenüber fremdproduziertem Agenturmaterial zu.
Auf der anderen Seite geht die Vielfalt zurück: Viele Medien fokussieren sich mehr auf das Inland und beachten Vorgänge im Ausland weniger, ungeachtet der grossen globalen Spannungen. Auch leisten nicht alle Medientypen dieselbe hohe Qualität. Regelmässig vorne in unseren Qualitätsrankings stehen die Sendungen des öffentlichen Rundfunks, Sonntags- und Wochenmedien sowie Abonnementszeitungen. Pendler- und Boulevardmedien sind qualitätsschwächer, haben aber in den letzten Jahren an Qualität zugelegt. In Zeiten zunehmender Desinformation ist es ein gutes Zeichen, dass diese teils sehr reichweitenstarken Medienmarken verstärkt auf Qualität setzen.
Key Take-Aways
Genereller Rückgang des Newskonsums
Wandel versus Beständigkeit der Medienkanäle: zunehmende Bedeutung von verschiedenen digitalen Kanälen, aber traditionelle Kanäle immer noch weit verbreitet
Vielnutzer:innen von sozialen Medien: anderes Verständnis von Nachrichten, geringe Markenbindung an Journalismus
Zunehmende «inhaltliche Medienkonzentration»
Qualität der Berichterstattung der verbliebenen journalistischen Newsmedien nach wie vor relativ gut
Prof. Dr. Mark Eisenegger
Kommunikationswissenschaftler Direktor des fög – Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft, stv. Direktor des IKMZ – Instituts für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung; ordentlicher Professor für «Öffentlichkeit und Gesellschaft» an der Universität Zürich.
Dr. Linards Udris
Kommunikationswissenschaftler Leitungsmitglied fög – Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft und Oberassistent am IKMZ – Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich.
Über das fög
Den Medienwandel kontinuierlich zu beobachten, gehört zu den Kernaufgaben des fög Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft an der Universität Zürich. Seit 2010 misst das Jahrbuch Qualität der Medien unter anderem die Qualität der Berichterstattung von mehr als 50 Medien in der Schweiz. Seit 2016 ist das fög der Schweizer Länderpartner der University of Oxford, die jährlich den Reuters Institute Digital News Report veröffentlicht.