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Kurzinterviews zum Jubiläum
In unserer 25. Ausgabe möchten wir uns bedanken: bei unseren Autoren und Interviewpartnern. «The Reporting Times» lebt von praxisnahem Expertenwissen und unterschiedlichen Perspektiven. Wir haben vier Interviewpartner aus vergangenen Ausgaben ausgewählt – und zu einem Jubiläums-Kurzinterview geladen.
Von Anna Kremer
Zur Person: Tanja Castor
ist seit fast 20 Jahren bei BASF im Bereich Sustainability tätig. Ihr aktueller Schwerpunkt ist die Implementierung der neuen Regulatorik CSRD/ESRS. Darüber hinaus nimmt sie Lehraufträge an der Universität Lüneburg sowie an der European Business School wahr.
Wir haben Sie 2020 interviewt. Damals war das Thema «Nachhaltigkeit verankern durch Reporting». Wie sehen Sie die Entwicklung bis heute – hat Reporting geholfen, Nachhaltigkeit im Unternehmen zu verankern?
«Meaningful» Reporting wirkt sich definitiv positiv auf die Integration von Nachhaltigkeit in der Unternehmenssteuerung aus. Zwangsläufig ist das Thema Nachhaltigkeitsberichterstattung omnipräsent. Selbst Leitmedien berichten regelmässig zu den neuen, umfassenden Regulatorien und deren Auswirkungen auf Unternehmen.
Welches Thema beschäftigt Sie in Ihrer heutigen Rolle am stärksten?
Im Fokus stehen Herausforderungen, die sich aus der Umsetzung der CSRD bzw. den ESRS ergeben. Man hat den Anspruch, die neuen Vorgaben wie gefordert umzusetzen, stösst aber bei der praktischen Implementierung täglich auf neue Unklarheiten, an Grenzen des Machbaren und vor allem an die Grenzen der persönlichen Belastbarkeit derer, die Nachhaltigkeitsthemen engagiert umsetzen.
Wo sehen Sie gegenwärtig die grössten Herausforderungen im Corporate Reporting?
Vor allem treibt mich die Sorge um, dass das Thema – robuste und bedeutsame Berichterstattung zu Nachhaltigkeit – zu einer Compliance-Übung verkommt. Die schiere Anzahl hochkomplexer Anforderungen löst leider nicht selten den Reflex aus, Berichterstattung künftig auf das regulatorische Mass zu begrenzen. Es wäre fatal für die eigentliche Mammutaufgabe, Unternehmen transformationsfit aufzustellen, wenn kostbare Ressourcen und Fachleute dauerhaft einzig mit Berichterstattung statt mit Implementieren von Massnahmen beschäftigt wären. Diese Entwicklung finde ich persönlich – als Verfechterin von integrierter und positiv differenzierender Berichterstattung –bedauerlich, kann sie aber aufgrund der überwältigenden Komplexität nachvollziehen.
Über welches Thema würden Sie gerne reden, wenn Sie jetzt eine Interviewanfrage erhalten würden?
Das Thema „Just Transition“ und die damit verbundene Notwendigkeit, Nachhaltigkeit und Demokratieverständnis als feste Pflichtbestandteile in Bildungscurricula zu integrieren. In privaten Diskussionen wird einem sehr schnell gespiegelt, dass sich ein nicht geringer Teil der Gesellschaft aus Diskussionen zu dringenden Nachhaltigkeitsthemen wie Klimawandel oder Biodiversitätsverlust ausklingt, während wir uns in einem kleinen Expertenfeld im letzten Granularitätslevel eines Berichts-KPIs verlieren. Die ESG-Gegenbewegungen in den USA sollten uns als warnendes Beispiel dienen.
Zur Person: Jan-Hendrik Völker-Albert
ist CCO & CMO, Head of Marketing, Branding, Communications & Public Affairs bei der ZKB. In seiner Funktion ist er für die Marken Zürcher Kantonalbank, Swisscanto und frankly und die Kommunikation zu allen relevanten internen und externen Anspruchsgruppen der Bank verantwortlich.
Wir haben Sie in unserer ersten Ausgabe interviewt. Damals ging es um die Einführung eines übergreifenden Kommunikationskonzepts bei der SBB. Wie hat sich bis heute die Unternehmenskommunikation aus Ihrer Sicht generell entwickelt?
Damals haben wir darüber gesprochen, wie man ein Unternehmen zu einer Love Brand entwickelt. Inzwischen ist die Welt dynamischer, komplexer und unvorhersehbarer geworden. Es wird immer schwieriger, die Qualität kommunikativer Signale zu verifizieren bzw. Fehlinformationen zu identifizieren. Entsprechend hat sich die Unternehmenskommunikation weiterentwickelt. Heute muss es gelingen, Unternehmen zu mehr als einer Love Brand zu machen. Sie müssen unterstützt durch eine transparente, konsistente und zuverlässige Kommunikation auch eine Trust Brand schaffen, der Kund:innen hundertprozentig vertrauen können.
Welches Thema beschäftigt Sie in Ihrer heutigen Rolle am stärksten?
Digitale Ökosysteme ermöglichen uns heute das Adressieren des «Segment of one», mit einer immer kürzer werdenden «time to communicate». Zukünftig wird es in der Kommunikation auf die richtige, verantwortungsvolle Nutzung von technologischen und KI-getriebenen Möglichkeiten ankommen. Dabei spielt die Ansprache der verschiedenen Zielgruppen eine besondere Rolle. Der Grat zwischen hyperpersonalisierter und nutzenstiftender Kommunikation auf der einen und nervender Datenkraken-Kommunikation auf der anderen Seite ist schmal. Der professionelle und verantwortungsvolle Umgang mit neuen technologischen Möglichkeiten entscheidet darüber, ob Anspruchsgruppen Botschaften vertrauen oder diese an ihrem Ziel vorbeischiessen.
Wo sehen Sie gegenwärtig die grössten Herausforderungen für die Unternehmenskommunikation?
Speziell in Zeiten eines KI-Hypes, sehe ich die Gefahr, dass sich die Unternehmenskommunikation zu operativ aufstellt und die strategische Exzellenz in den Hintergrund gerät. In der operativen Hektik des Alltags wird Klarheit in der strategischen Ausrichtung und Haltung sowie eine differenzierende Positionierung leicht vernachlässigt. Hier ist das Mindset entscheidend: Unternehmenskommunikation sollte kein reaktiv arbeitender Auftragsempfänger sein, sondern ein proaktiv handelnder und strategisch denkender Thought Leader.
Über welches Thema würden Sie gerne reden, wenn Sie jetzt eine Interviewanfrage erhalten würden?
Ich halte die Orchestrierung relevanter Marketing- und Kommunikationssignale für essenziell. Speziell die Unternehmenskommunikation muss sich stärker auf die vielfältigen Möglichkeiten von Technologie einlassen und sich als integralen Bestandteil von Gesamterlebnissen sehen. So kann basierend auf einem klaren strategischen Fundament relevanter Inhalt ausgesendet werden, der Präferenzen bei Kund:innen bildet und das Kaufverhalten verändert.
Zur Person: Marianne Wildi
ist eine Schweizer Open-Banking-Pionierin. Als CEO der Hypothekarbank Lenzburg hat sie seit 2010 neben dem klassischen Banking das Banking-as-a-Service-Geschäft als neuen Bereich etabliert. Im März 2024 hat sie den CEO-Posten abgegeben und ist seither Verwaltungsrätin der Bank.
Wir haben 2020 über Auswirkungen von Geschäftsmodellen und deren Offenlegung gesprochen. Wie hat sich das Thema seitdem entwickelt?
Seit unserem letzten Gespräch hat sich viel verändert. Das VUCA-Modell, das eine Welt beschreibt, die sich schnell und oft radikal entwickelt, ist aber immer noch aktuell. Auf die Coronakrise folgten der Ukrainekrieg und der Nahostkonflikt. Es herrscht ein Klima der ständigen Bedrohung. Bei der Hypi blieb trotzdem einiges unverändert. Etwa der Wille, Tradition und Innovation zu pflegen und uns kontinuierlich weiterzuentwickeln. Das Bekenntnis zum hybriden Geschäftsmodell «persönlich und digital» leitet uns. Die Digitalisierung ermöglichte neue Arten der Kundenbetreuung und liess uns neue Vertriebskanäle erschliessen – etwa mit Banking-as-a-Service-Angeboten.
Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen für die Unternehmenskommunikation?
Reputation und Glaubwürdigkeit sind zentral für eine Bank. Sie stellen hohe Anforderungen an die Unternehmenskommunikation. Schlüsselfaktoren dabei sind Transparenz, Ethik, Authentizität und richtiges Timing. Um in der heutigen Informationsüberflutung bestehen zu können, braucht es den passenden Mix aus zentralen Botschaften auf den richtigen Kanälen.
Welches Thema beschäftigt Sie in Ihrer heutigen Rolle am stärksten?
Changemanagement oder die Frage: Wie kann ich in meiner neuen Rolle als Verwaltungsrätin den Innovationsgeist und die Freude an der Veränderung in der Bankbelegschaft fördern? Der Verwaltungsrat muss Rahmenbedingungen für eine Kultur schaffen, damit die Mitarbeitenden und die Geschäftsleitung selbstbestimmt, sinnstiftend und agil arbeiten können. Dies ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Bank professionell, agil und erfolgreich handelt, nachhaltig gute Resultate ausweist und gleichzeitig eine attraktive Arbeitgeberin bleibt, wo sich bestens ausgebildete Mitarbeitende treffen. Diese nutzen ihren Freiraum für Innovationen, welche die Bank und sie persönlich weiterbringen. Ich bin davon überzeugt, dass sich das Streben nach Sinn langfristig auszahlt. Für künftige Herausforderungen und bestehende Probleme sind kreative Lösungen gefragt. Das treibt Innovationen voran und lässt Strukturen entstehen, die eine Organisation robuster und resilienter machen.
Zur Person: Reto Zemp
lic. oec. HSG, dipl. Wirtschaftsprüfer, Head Corporate Reporting bei SIX Exchange Regulation AG, verantwortlich für die Überwachung und Durchsetzung der Rechnungslegungsstandards sowie der Offenlegungsvorschriften zur Corporate Governance bei kotierten Gesellschaften.
Wir haben mit Ihnen im Jahr 2017 über die freiwillige Nachhaltigkeitsberichterstattung der SIX gesprochen. Wie hat sich das Thema aus Ihrer Sicht seitdem entwickelt?
Die Nachhaltigkeitsberichterstattung hat eine rasante Entwicklung erlebt und ist im Mainstream angekommen. Ende 2017 hatten gerade 4 Emittenten ein freiwilliges Opting-in vorgenommen, heute sind es mehr als 60 –und das obwohl mittlerweile auch neue Vorschriften des Obligationenrechts zur nichtfinanziellen Berichterstattung in Kraft getreten sind.
Wo sehen Sie gegenwärtig die grössten Herausforderungen für die Unternehmenskommunikation?
Auftragsgemäss befasst sich SIX Exchange Regulation in erster Linie mit dem «Compliance»-Aspekt der Unternehmenskommunikation. Es ist sicher eine grosse Herausforderung für Unternehmen, den kommunikativen und den rechtlich-regulatorischen Aspekt der Unternehmenskommunikation unter einen Hut zu bringen. In Sachen «Compliance» müssen Emittenten ja nicht nur die Kotierungsregularien von SIX beachten, sondern auch die einschlägigen Vorschriften des Obligationenrechts (OR) ebenso wie jene von ausländischem Recht, welches gerade etwa im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung auch extraterritoriale Wirkung entfalten kann.
Welches Thema beschäftigt Sie in Ihrer Rolle heute am stärksten?
Bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung hat die Anzahl der Emittenten mit einem Opting-in deutlich zugenommen. Zudem gilt es, die regulatorischen Entwicklungen zu verfolgen und ggf. Anpassungsbedarf an den Kotierungsregularien rechtzeitig zu erkennen. Mit der per 1.1.2023 überarbeiteten Richtlinie Corporate Governance stellen wir sicher, dass auch Emittenten, welche nicht dem OR unterstehen, eine vergleichbare Transparenz in Sachen Nachhaltigkeit erfüllen. Per 1.1.2024 haben wir zudem die für das Opting-in zulässigen Standards an die aktuellen internationalen Entwicklungen angepasst. Andererseits beschäftigt uns aber immer noch die Finanzberichterstattung am meisten. Ich erwarte auch nicht, dass die Finanzberichterstattung an Bedeutung verlieren wird, die nichtfinanzielle Berichterstattung kommt einfach ergänzend hinzu.
Über welches Thema würden Sie gerne reden, wenn Sie jetzt eine Interviewanfrage erhalten würden?
Über den FinfraG Review und die Rolle der Selbstregulierung.