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Adjustierte Gewinne: Ein problematischer Trend bei SLI-Gesellschaften

Das Bereinigen von Erfolgsrechnungskennzahlen ist zur Normalität am Schweizer Aktienmarkt geworden. Über 90 Prozent der per Mitte 2017 im Swiss Leader Index gelisteten Unternehmen haben in den vergangenen vier Geschäftsjahren mindestens eine adjustierte Performancekennzahl ausgewiesen. Die Differenzen zu den testierten Zahlen sind zum Teil frappant. Investoren bleibt nichts anderes übrig, als sich mit dem Umgang mit solchen Zahlen vertraut zu machen.

Normalität am Schweizer Kapitalmarkt

28 der 30 im Swiss Leader Index (SLI) gelisteten Unternehmen haben in den vergangenen vier Geschäftsjahren mindestens eine adjustierte Performancekennzahl ausgewiesen. 19 SLI-Unternehmen haben in allen vier Jahren Adjustierungen vorgenommen. Einzig zwei Unternehmen – Sika und Swatch Group – haben keine adjustierten Kennzahlen veröffentlicht. Das Bereinigen von Erfolgsrechnungskennzahlen ist zur Normalität am Schweizer Aktienmarkt geworden.


Adjustierte Kennzahlen haben es in letzter Zeit, auch aufgrund der turbulenten Situation bei Aryzta, prominent in die Schlagzeilen der Schweizer Wirtschaftspresse geschafft. Aufgrund der zunehmenden Verbreitung sah sich jüngst auch die Schweizer Börse veranlasst, einen Entwurf zur Anwendung solcher Zahlen in die Vernehmlassung zu geben. Wir haben diese Entwicklung zum Anlass genommen, die Adjustierungspraktiken der im SLI gelisteten Unternehmen genauer anzuschauen.

Was ist eine adjustierte Performancekennzahl?

Eine adjustierte Performancekennzahl ist eine modifizierte Zahl aus der Erfolgsrechnung oder der Bilanz, die durch das publizierende Unternehmen freiwillig als Ergänzung zum geprüften Jahresabschluss gemäss IFRS, US-GAAP oder Swiss GAAP FER veröffentlicht wird. In diesem Zusammenhang spricht man auch von alternativen, Pro-forma-, bereinigten oder Non-GAAP-Kennzahlen, die allesamt das freiwillige Modifikationselement als gemeinsamen Nenner haben. Adjustierte Grössen finden sich oftmals prominent platziert in Medienmitteilungen, Geschäftsberichten oder Unternehmenspräsentationen. Das Management möchte durch den Ausweis solcher Zahlen den testierten Jahresabschluss mit Zusatzinformationen ergänzen. Neben der zusätzlichen Informationsvermittlung können alternative Performancekennzahlen aber auch bewusst zur einseitigen Beeinflussung des Anlegers verwendet werden. Dies birgt entsprechende Risiken.

Vorsicht bei der Interpretation

Adjustierte Kennzahlen unterliegen keinem anerkannten Rechnungslegungsstandard. Die Konsequenz ist, dass nicht alle Unternehmen die gleichen Adjustierungen vornehmen. Dies beeinträchtigt die Vergleichbarkeit verschiedener Kennzahlen und ist bei Peer-Vergleichen und Sektorenanalysen ein gewichtiger Nachteil.


Adjustierte Gewinnkennzahlen sind nicht per se schlecht. Sie können eine wichtige Informationsquelle für Investoren sein, da einschlägige Rechnungslegungsstandards oftmals nicht in der Lage sind, unternehmensspezifische Eigenheiten abzubilden. Andererseits können sie aber auch über die tatsächliche operative Lage hinwegtäuschen. Deshalb ist bei der Interpretation solcher Zahlen erhöhte Achtsamkeit geboten, um Fehlinterpretationen zu vermeiden.


Grosse Spannweiten bei adjustierten Gewinnen

Die Bandbreite adjustierter Kennzahlen ist sehr gross. Die Palette reicht von (fast schon gewöhnlichen) Anpassungen beim Reingewinn und beim EBIT bis hin zu bereinigten Bilanzkennzahlen. Um einen quantitativen Eindruck der Thematik zu erhalten, haben wir die adjustierten Reingewinne und die Gewinne pro Aktie der SLI-Unternehmen genauer unter die Lupe genommen. Es sind nur solche Unternehmen berücksichtigt, die explizit eine Adjustierung auf Stufe Reingewinn, respektive Gewinn pro Aktie, ausgewiesen haben. Unternehmen, die ihre Adjustierungen oberhalb des Reingewinns vornehmen, sind nicht in der Analyse enthalten. Dies trifft beispielsweise auf die beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse zu, die beide teilweise signifikante Adjustierungen auf dem Ergebnis vor Steuern vorgenommen haben. Nachfolgend sind einige Erkenntnisse zusammengefasst:

  • Im Geschäftsjahr 2016 ist die Summe der adjustierten Reingewinne der SLI-Unternehmen um über 30 Prozent höher ausgefallen als diejenige der testierten Reingewinne.

  • Ausklammerungen von Aufwendungen überwiegen diejenigen von Erträgen – nur 8 Gesellschaften haben in den vergangenen vier Geschäftsjahren einen bereinigten Reingewinn offengelegt, der unter dem testierten Reingewinn lag.

  • 16 Unternehmen haben in den vergangenen vier Geschäftsjahren mindestens einen adjustierten Gewinn pro Aktie ausgewiesen, 11 davon für den gesamten Untersuchungszeitraum.

  • Die Differenzen zwischen den adjustierten und den geprüften Gewinnen pro Aktie sind zum Teil massiv – beim Spitzenreiter beträgt der Unterschied mehr als das Hundertfache.

Investoren müssen sich mit dem Umgang vertraut machen

Am Markt zeichnet sich kein Abklingen der Verwendung von adjustierten Kennzahlen ab – im Gegenteil, die Tendenz ist steigend. Haben 2013 noch 22 SLI-Unternehmen eine adjustierte finanzielle Kennzahl ausgewiesen, waren es 2016 bereits 25 SLI-Unternehmen. Auch die Grösse der adjustierten Posten hat über die untersuchten vier Jahre zugenommen. Daran wird auch eine allfällige Richtlinie der SIX nichts ändern. Ein vollständiges Verbot ist weder wahrscheinlich noch sinnvoll. Investoren bleibt deshalb nichts anderes übrig, als sich mit der Problematik vertraut zu machen.


Unternehmen stehen in der Verantwortung

Damit adjustierte Kennzahlen ihren Zweck als zusätzliche Informationsquelle erfüllen, müssen die publizierenden Unternehmen einige Punkte beachten. So sollte die adjustierte Zahl stets als solche gekennzeichnet und eindeutig von testierten Zahlen unterscheidbar sein. Im Sinne der Transparenz ist eine detaillierte Überleitung zur verwandten testierten Zahl unerlässlich. Dabei ist zu beachten, dass alle bereinigten Posten offengelegt werden (keine Sammelposten) und den Einmalcharakter wahren. Nicht zuletzt ist aus Investorensicht eine Begründung für den Ausweis wünschenswert. Diese sollte klarstellen, weshalb das Management einen anderen Investment-Case vermitteln möchte, als es die Zahlen im geprüften Jahresabschluss tun.

 

 

Sven Bucher leitet das Aktien- und Bondresearch der Zürcher Kantonalbank. Er ist Vorstandsmitglied der Swiss Financial Analysts Association (SFAA) und der AZEK. Zudem ist er Mitglied des Fachausschusses der FER, der Indexkommission der SIX Swiss Exchange und der Anlagekommission der Pensionskasse der Zürcher Kantonalbank.

 

 

Yves Becker arbeitet im Aktienresearch der Zürcher Kantonalbank. Er besitzt einen Masterabschluss der Universität Zürich in Wirtschaftswissenschaften mit Vertiefung in Banking and Finance. Vor seiner Tätigkeit bei der ZKB arbeitete er unter anderem in der Reportingabteilung eines Schweizer Industriekonzerns und bei einem M&A-Beratungsunternehmen.