In der Unternehmenswelt kursiert seit einiger Zeit der Begriff purpose. Wirft man diesen Begriff in den Raum, so wird zumeist direkt darüber diskutiert, welchen purpose man sich als Unternehmen denn geben sollte. Es gilt als ausgemacht, dass ein Unternehmen heute einen purpose braucht. Ohne einen solchen würden Millennials sich gar nicht erst bewerben, langfristig orientierte Investoren das Unternehmen meiden und die Mitarbeiter lustlos ihrer sinnentleerten Arbeit nachgehen. Doch was meinen wir mit diesem Begriff? Und welchen Zweck hat er?
Von Kai Rolker
Der Begriff purpose kursiert seit einiger Zeit in der Unternehmenswelt. Er klingt so positiv und wird dabei so wenig hinterfragt, dass man zumindest darüber nachdenken sollte, warum das so ist. Mangels Übersetzung und abschliessender Definition verharrt die Bedeutung des Begriffs im Ungefähren. So liess sich bisher die Frage nach dem konkreten Sinn auf elegante Weise umgehen. Bevor man als Unternehmen jedoch Zeit und Geld in die Entwicklung eines purpose investiert, sollten Zweck und Nutzen klar sein. «What is the purpose of purpose?»
Der Begriff purpose kann im Deutschen «Zweck» heissen, aber auch «Absicht», «Bestimmung», «Ziel», «Funktion» oder «Sinn». Da all dies mitschwingt, wenn man vom purpose eines Unternehmens spricht, scheint eine einfache Übersetzung unmöglich. Gleichwohl lohnt es, den Faden aufzunehmen. Wenn man etwas purposeful tut, ist gemeint, dass man es nicht einfach so tut, sondern im vollen Bewusstsein und mit der Absicht, mit der jeweiligen Handlung etwas Bestimmtes erreichen zu wollen.
Man sagt ja auch, der Zweck heilige die Mittel – das heisst, der Zweck wird quasi als höhere Bestimmung gedeutet, als normative Kraft oder gar als etwas, das sich sogar über Normen hinwegsetzen kann – vorausgesetzt, der Zweck liefert eine ausreichende ethische Legitimation. Wenn ich eine Bestimmung erkannt habe, folge ich einem höheren Ziel, einer Absicht, die nicht einer beliebigen Laune, einem Zufall oder einem profanen Bedürfnis folgt.
Was treibt uns morgens aus dem Bett?
Bei Individuen, beim einzelnen Menschen, hat man traditionell eher nach dem Sinn des Lebens gefragt, denn der Mensch braucht bekanntlich keinen Zweck, um zu existieren. Er ist einfach nur da und somit frei, sein Leben mit Sinn oder einer Bestimmung zu erfüllen oder eben auch nicht. Diese Freiheit wird einem Unternehmen nicht zugesprochen, denn es ist künstlich geschaffen und verändert die Umwelt, in der es seine Geschäfte betreibt.
Die Frage nach dem Sinn des Lebens wird heute kaum mehr gestellt. Zu lange haben Philosophie und Religion sich an ihr abgearbeitet. Die moderne Wissenschaft geht realistischer und bescheidener vor. Sie stellt heute nicht mehr die grosse Frage nach dem Sinn des Ganzen, sondern sie untersucht, was den Einzelnen antreibt, was das Individuum am Leben erhält oder es zumindest dazu bringt, morgens aus dem Bett zu steigen und sich einer Aufgabe zu widmen.
Menschen, die einer Bestimmung folgen, die also in sich einen purpose tragen, sind psychisch gefestigter als solche, die einfach vor sich hin leben. «Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie» – nach diesem Motto erforschte Viktor Frankl, einer der Urväter der Resilienzforschung, wie Sinnerfüllung auch angesichts schwerer Schicksalsschläge möglich ist und Menschen in die Lage versetzt, in Krisenzeiten seelisch stabil zu bleiben.
Was treibt ein Unternehmen an?
Auch die Werbung hat das Thema besetzt. «Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt» war der Slogan einer sehr erfolgreichen Kampagne der Volksbanken Raiffeisenbanken in Deutschland aus dem Jahr 2009. Auch hier geht es um Bestimmung und Zweck, und dies haben in der Tat Individuen und Unternehmen gemeinsam. So können wir sagen: Auch jedes Unternehmen hat etwas, das es antreibt und zusammenhält.
Dieses Etwas könnte man als den inneren, die Identität des Unternehmens konstituierenden Zweck bezeichnen, also einen intrinsic purpose. Dieser kann enorm wichtig werden, was wir zum Beispiel erleben, wenn Aktivisten sich anschicken, ein Unternehmen in Stücke zu zerteilen, um diese einzeln an den Markt zu bringen. Der Verwaltungsrat ist dann gefordert, seinen Aktionären zu erläutern, warum die Existenz des Unternehmens der Zerschlagung vorzuziehen ist, und hierfür ist es hilfreich, sich auf einen Daseinsweck berufen zu können.
Ergänzend dazu hat Larry Fink, legendärer Chef von Blackrock, in jüngster Zeit verstärkt gefordert, dass Unternehmen einen social purpose entwickeln müssten und dass Investoren diesen stärker einfordern und kontrollierten sollten.
In Hinsicht auf interne wie externe Anspruchsgruppen verspricht der purpose also einen Gewinn für beide Seiten. Das Unternehmen gewinnt Geld, Reputation und seine license to operate; die Stakeholder gewinnen, weil das Unternehmen ihre Ansprüche zu befriedigen in der Lage ist.
Wann hat purpose einen Zweck?
Jedes Unternehmen sollte sich fragen, ob es ein purpose statement braucht oder nicht. Ein purpose kann sinnvoll sein, aber eben nur dann, wenn er gewisse Bedingungen erfüllt:
Er muss authentisch sein und aus dem Inneren des Unternehmens kommen.
Er muss klar und einfach fassbar sein, also in keinem Fall abstrakt und abgehoben. Ein Beispiel dafür die Marke «Life is Good» (eine Kleidermarke), die sich diesen purpose gegeben hat: «To spread the power of optimism.»
Er muss möglichst individuell sein, aber zugleich weithin anerkannten Werten genügen.
Er muss in die Zukunft weisen und auf die Lösung eines gesellschaftlichen Problems hinweisen. Tesla definiert als purpose to «accelerate the world’s transition to sustainable energy».
Die Frage, ob jedes Unternehmen unter allen Umständen einen purpose benötigt, ist gleichwohl nicht entschieden. Zumindest dürfte jeder clevere Berater zustimmen, dass man sich über purpose seine Gedanken machen sollte – mit seiner Hilfe. Und grundsätzlich kann ein Unternehmen natürlich von einem purpose profitieren, da es ja schlussendlich Menschen sind, die als Mitarbeiter Wert generieren, als Investoren Kapital bereitstellen oder als Gesellschaft die license to operate erteilen.
Allerdings wird der purpose nur dann positiv auf die Stakeholder abstrahlen, wenn er die genannten Kriterien erfüllt, denn sonst wird er schnell als Mogelpackung entlarvt und nicht nur seinen Zweck verfehlen, sondern im Gegenteil bewirken, dass Resilienz und Glaubwürdigkeit des Unternehmens nachhaltig Schaden nehmen. Also: purpose ja, aber nur, wenn er Sinn macht.
Über den Autor
Dr. Kai Rolker ist Head Group Communications bei Clariant, einem weltweit führenden Spezialchemieunternehmen. Bis 2012 war er Director Marketing Communications bei Synthes. Er hat Philosophie und Alte Geschichte studiert sowie ein Masterstudium Communication Management absolviert.