XBRL ist in der EU seit zwei Jahren ein gesetzter Standard. Ist die regulatorische Digitalisierungsoffensive – eine einfachere Berichterstattung für Emittenten, Analysten und Investoren – aufgegangen oder war die anfängliche Skepsis doch berechtigt? Die Entwicklung kann als Fortschritt verbucht werden. Die Potenziale von XBRL werden allerdings (noch) nicht ausgeschöpft. Einiges deutet aber darauf hin, dass es nur eine Frage der Zeit ist.
von Monika Kovarova-Simecek
Wir können uns noch gut an die Nervosität vor der Implementierung von XBRL 2020 erinnern. Die Einstellung zu XBRL eher verhalten, die Expertise kaum vorhanden. Unternehmen bekamen eine technologische Lösung aufoktroyiert, ohne den Grund dafür zu verstehen. Sie mussten sich quasi ein Zugticket kaufen, ohne verreisen zu wollen. Dass sich die Begeisterung in Grenzen hielt, ist verständlich, wenn auch nicht unproblematisch. Denn im Grunde ist die Einstellung zu XBRL auch ein Indikator für das Digitalisierungsverständnis jener, die in Corporate Reporting tätig sind. Viele sprachen von Digitalisierung, die wenigsten verstanden darunter aber Daten strukturiert und maschinenlesbar aufzubereiten – die Kernleistung von XBRL.
XBRL als Game Changer?
XBRL war als Game Changer auf dem Weg zum digitalen Reporting gedacht. Heute ist XBRL ein gesetzter Standard. Aber mit welchem Potenzial? Eine durch die Regulatorik geschaffene Tatsache ist jedenfalls der Umstand, dass aktuell rund 7.500 Unternehmen in der EU einen elektronischen Finanzbericht erstellen. Die Regelungen zur Veröffentlichung der XBRL-Berichte ist allerdings EU-weit unterschiedlich, womit die ursprünglichen Transparenzbestrebungen nur inkonsequent umgesetzt werden. Während österreichische Unternehmen ihre XBRL-Berichte auch auf der IR-Website verfügbar machen müssen, reichen deutsche Unternehmen diese lediglich beim Bundesanzeiger ein. Dennoch sind 7.500 digitale Finanzberichte eine beeindruckende Zahl und ein Digitalisierungsfortschritt.
Was ist aber der tatsächlich geschaffene Mehrwert?
Ein Vorteil ist mit Sicherheit das XBRL-Repository mit derzeit 4.203 frei verfügbaren Finacial Statements im XBRL-Format. Die Daten sind öffentlich und können von allen Interessierten genutzt werden. Analysten, institutionelle Investoren, aber auch Unternehmen könnten davon profitieren. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass das volle Potential von XBRL nicht ausgeschöpft wird.
Eine Studie zum Informationsverhalten institutioneller Investoren, die 2022 von Annika Henschel an der FH St. Pölten durchgeführt wurde, legt offen, dass XBRL von institutionellen Investoren selten (14 %) oder gar nicht (71%) verwendet wird, in nur ganz wenigen Fällen (5 %) gelegentlich. Regelmässig oder häufig wird XBRL von deutschsprachigen Investoren gar nicht genutzt. Dafür gibt es zwei entgegengesetzte Ursachen. Die Mehrheit (68 %) bedient sich altbewährter Datenerfassungs- und Datenauswertungsmethoden. Diese sind noch vielfach manuell. Die verbleibende Minderheit (36 %) nutzt sehr wohl digitale Tools, dabei handelt es aber um KI-Methoden, die XBRL technisch überholt haben wie Natural Language Processing (NLP). Diese Struktur wird im Wesentlichen wohl fortbestehen: Knapp die Hälfte (48 %) planen auch künftig KI-Methoden anzuwenden, mehr als die Hälfte (53 %) jedoch nicht. Die Kosten der Umstellung scheinen für viele zu hoch und es fehlt das auch notwendige Wissen und digitales Know-How.
Lost in Translation?
Was wir am Bespiel von XBRL sehen: Mehr Daten und Transparenz (man denke z. B. an das open-XBRL-Repository) schafft nicht automatisch eine bessere Sichtbarkeit und eine höhere Nutzung der Daten. Auch das ist nicht überraschend, sondern vielmehr ein tradiertes Missverständnis der Digitalisierung, das sich auch in unserer Studie zum Informationsverhalten institutioneller Investoren bestätigt: Obwohl die Informationsmenge gestiegen ist, haben nur wenige institutionelle Investoren das Gefühl, dass die Kommunikation zielgruppenspezifischer geworden ist.
Es braucht also nicht nur Daten. Es braucht (1) das Wissen, wie die Daten genutzt, visualisiert und effektiv verwendet werden können, (2) den Willen etwas Neues auszuprobieren und auch die Hürde vorübergehend höherer Kosten auf sich zu nehmen. Und es braucht (3) ein neues Verständnis und eine Re-Organisation der Reporting-Prozesse. Das alles erfordert eine höhere digitale Kompetenz.
Das passiert nicht über Nacht, aber wir können nach (nur) zwei Jahren XBRL bereits Akzeptanz und Offenheit gegenüber XBRL erkennen. Unternehmen nehmen wahr, dass sie durch den Tagging-Prozess Fehler schneller entdecken. Sie denken darüber nach, XBRL – wenn es denn schon da ist – auch in anderen Reporting-Kontexten anzuwenden. Und sie möchten die frei verfügbaren Daten z. B. in der Unternehmensplanung bewusst nutzen.
XBRL-Optimismus
Auch wenn dies noch vereinzelte Beobachtungen sind, ist die Einschätzung bezüglich der künftigen Nutzung von XBRL unter börsennotierte Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz durchaus positiv. Gemäss dem Corporate Reporting Monitor 2021 gehen 66 % der Befragten davon aus, dass XBRL in drei Jahren das am meisten genutzte Berichtsformat unter Kapitalmarktexperten sein wird. Es sieht vielmehr so aus, dass XBRL dem klassischen Implementierungsprozess von neuen Technologien folgt.
Wo stehen wir?
In Bezug auf XBRL haben wir die erste Phase (Adoption) hinter uns gebracht. Es war wohl die schwierigste Phase, denn normalerweise wägt hier das Unternehmen die Vor- und Nachteile der Technologie ab und entscheidet sich dann aktiv dafür oder dagegen. Dieser Prozess wurde durch die Verpflichtung abgekürzt. Die entstandene Lücke wurde kommunikativ nicht optimal aufgefangen, in der Zwischenzeit wohl aber überwunden. Die Implementierung (Adaptation) erfolgte mit oder ohne Unterstützung von Drittdienstleistern, jedenfalls in den meisten Fällen zufriedenstellend.
Derzeit befinden wir uns am Anfang der dritten Phase (Acceptance), in derwir lernen, XBRL richtig zu nutzen und sein Potenzial auszuschöpfen. Von da aus ist es ein Leichtes, XBRL in die normalen Arbeitsabläufe einzubinden (Routinization), sodass XBRL letztendlich als ein völlig normaler Bestandteil unseres Arbeitsalltags betrachtet wird (Infusion). XBRL wird zur neuen Normalität.
Die Zuversicht dominiert – Warum?
Derzeit sind zwei wesentliche Treiber von XBRL deutlich sichtbar, die diesen Prozess verstärken und beschleunigen werden. Erstens, die Nachhaltigkeitsregulierung, die die Ausdehnung der XBRL-Pflicht auf Nachhaltigkeitsberichte vorsieht. Zweitens, das neue Informations- und Kommunikationsverhalten der Stakeholder, das Unternehmen zwingt, ihre Prozesse neu zu denken, neu zu organisieren und mit Hilfe der Digitalisierung zu vereinfachen.
Durch die CSRD wird es in Europa bald an die 60.000 Unternehmen geben, die ihre Nachhaltigkeitsberichte taggen müssen. Hinzu kommt, dass die Anforderungen an das Tagging in den nächsten Jahren sehr viel intensiver werden. Auch hier zeigt sich die Hebelwirkung der Regulatorik. Denn obwohl Unternehmen gemäss der NFRD doch schon länger Nachhaltigkeitsberichte erstellen und diese auch schon in einem elektronischen Format denkbar waren (XBRL kann auch entlang von eigens erstellten Taxonomien bedient werden), gibt es de facto keine freiwilligen Initiativen. Der erste XBRL-basierte Nachhaltigkeitsbericht wurde 2022 von AVIVA veröffentlicht.
Die Financial Community vertraut aber offenbar auf den CSRD-Effekt. Im Zuge des Corporate Reporting Monitor 2021 gab fast die Hälfte der Befragten (48 %) an zu glauben, dass in drei Jahren auch Nachhaltigkeitsberichte hauptsächlich im XBRL-Format veröffentlicht werden.
Wir werden jedenfalls noch stärker gefordert sein, Reporting als einen digitalen Prozess zu verstehen, der auf strukturierten und maschinenlesbaren Daten aufbaut. Unternehmen werden künftig eine Vielzahl an Formaten und Zielgruppen bedienen können müssen. Ohne strukturierte Daten und entsprechende Disclosure Management Systeme wird diese Hürde nur schwer zu bewältigen sein.
FH-Prof. Mag. Monika Kovarova-Simecek leitet den Studiengang Digital Business Communications an der FH St. Pölten. Zu ihren Themenschwerpunkten zählen Digitale Finanzkommunikation, Financial Literacy und Finanzjournalismus. Sie ist Initiatorin des Österreichischen Symposium Financial Communications.