Schweizer Transparenz über nicht-finanzielle Belange (Artikel 964a ff. OR)
Im Jahr 2024 müssen grosse Schweizer Unternehmen erstmals einen nicht-finanziellen Bericht gemäss dem revidierten Schweizerischen Obligationenrecht (Art. 964a ff. OR) veröffentlichen. Sie müssen konsolidiert über mindestens fünf von acht nicht-finanziellen Belangen detailliert berichten.
von Daniel Bühr
Nach 70 Jahren schrittweise eingeführter und standardisierter Finanzberichterstattung sind die Unternehmen nun verpflichtet, nicht-finanzielle Berichte zu erstellen. Bis Ende 2023 müssen die Unternehmen die geforderten Daten sammeln, bewerten und konsolidieren sowie Korrekturmassnahmen für wesentliche Risiken ergreifen. Ab 2024 müssen sie über ihre Politik, die angewandte Sorgfaltspflicht und deren Wirksamkeit, wesentliche Risiken, den Umgang mit Risiken und wichtige Leistungsindikatoren berichten.
Neue Meldepflichten
Seit dem 1. Januar 2022 gelten in der Schweiz neue Vorschriften über die nicht-finanzielle Berichterstattung. Der vorliegende Artikel zeigt auf, für welche Unternehmen die Vorschriften gelten, welche Pflichten bestehen und welche Massnahmen zu ergreifen sind.
Börsennotierte Unternehmen und Emittenten von Unternehmensanleihen in der Schweiz sowie von der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) beaufsichtigte Finanzinstitute, die den gesetzlichen Schwellenwert erreichen, sollten den Status ihrer Managementsysteme in den Bereichen Umwelt, Soziales, Arbeitnehmer, Kinderarbeit, Menschenrechte, Korruptionsbekämpfung und Konfliktmineralien überprüfen, Lückenschliessen und die Daten sammeln und konsolidieren, die für die Berichterstattung aller Mitglieder des Verwaltungsrats an die Aktionäre und die Öffentlichkeit im Jahr 2024 erforderlich sind.
Die meisten Unternehmen werden aus Gründen der guten Unternehmensführung, ihres «purpose», ihrer Werte und der Compliance genau und rechtzeitig Bericht erstatten. Es ist jedoch wichtig, sich bewusst zu machen, dass das Nichterfüllen der Berichterstattungspflichten zu Strafanzeigen gegen die Verwaltungsratsmitglieder führen könnte. Gemäss Art. 325ter des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB), welcher ein Offizialdelikt thematisiert, können Personen, die den neuen Meldepflichten nicht nachkommen, mit einer Geldstrafe von bis zu 100'000 CHF bestraft werden. Strafanzeige kann von jedermann erstattet werden.
Meldepflichten über nicht-finanzielle Belange
Unternehmen, die die folgenden kumulativen Kriterien erfüllen, fallen unter die neuen Transparenzvorschriften:
Unternehmen von öffentlichem Interesse (im Sinne des Revisionsaufsichtsgesetzes), d.h. FINMA-regulierte Finanzinstitute, börsenkotierte Schweizer Unternehmen und Emittenten von Unternehmensanleihen.
Unternehmen mit einem Jahresdurchschnitt von mindestens 500 Vollzeitstellen in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren auf konsolidierter Basis (d.h. einschliesslich aller kontrollierten Unternehmen).
Mindestens einer der folgenden Werte wurde in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren überschritten: (i) eine Bilanzsumme von 20 Millionen CHF oder (ii) ein Umsatz von 40 Millionen CHF.
Diese Unternehmen müssen für sich und alle von ihnen kontrollierten Unternehmen weltweit ab 2024 über Umwelt-, Sozial-, Arbeitnehmer- und Menschenrechtsbelange sowie über die Bekämpfung der Korruptionberichten. Dies beinhaltet eine jährliche Berichterstattung über ihre Geschäftstätigkeit und die Auswirkungen auf die oben genannten nicht-finanziellen Belange. Tochterunternehmen, die von einem berichterstattungspflichtigen Unternehmen kontrolliert werden oder von einem Unternehmen kontrolliert werden, das nach geltendem ausländischem Recht einen gleichwertigen Bericht erstellt, sind von der Berichterstattungspflicht befreit (Art. 964a Abs. 2 OR).
Die Unternehmen sollten grundsätzlich einem allgemein anerkannten Standard («Konzept») folgen. Unternehmen können jedoch entscheiden, einem Konzept für einen bestimmten nicht- finanziellen Sachverhalt nicht zu folgen, wenn sie dies klar begründen. Die Erklärung, dass man «konzeptlos» handelt, dürfte jedoch kaum eine Option sein.
Als Referenzstandards werden in der Regel die ILO-Konventionen, der UN Global Compact, die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, die ISO-Norm 37001 für Anti-Korruptions-Managementsysteme usw. verwendet. Ein geeigneter Berichtsstandard ist die Global Reporting Initiative und für die Klimaberichterstattung die TCFD.
Sorgfaltspflicht bei Konfliktmineralien und Kinderarbeit
Unternehmen mit Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz, die bestimmte Mengen bestimmter Mineralien oder Metalle aus Konflikt- und Hochrisikogebieten in der Schweiz frei in Umlauf bringen (oder in der Schweiz verarbeiten), unterliegen besonderen Sorgfaltspflichten (Art. 964j Abs. 1 OR).
Sorgfaltspflichten bezüglich Kinderarbeit gelten für Unternehmen mit Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz, die Produkte oder Dienstleistungen anbieten, bei denen ein begründeter Verdacht auf Kinderarbeit bei der Herstellung von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen besteht (Art. 964j Abs. 1 Ziff. 2 OR).
Die einzigen Ausnahmen von den Sorgfaltspflichten bei Kinderarbeit gelten für "Unternehmen mit geringem Risiko" und KMU. KMU, einschliesslich der von ihnen kontrollierten in- und ausländischen Unternehmen, die in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren zwei der folgenden Schwellenwerte unterschreiten, sind von der Berichterstattung über das Risiko der Kinderarbeit befreit (Art. 6 der Sorgfaltspflicht- und Transparenzverordnung, VSoTr): 250 Vollzeitstellen Bilanzsumme von 20 Mio. CHF und ein Umsatz von 40 Mio. CHF.
Wenn der Einsatz von Kinderarbeit jedoch offensichtlich ist, gelten die Ausnahmen nicht (Art. 8 VSoTr).
Zu beachten ist, dass die Sorgfaltspflichten die gesamte Wertschöpfungskette umfassen.
Sanktionen
Alle Verwaltungsratsmitglieder, die die Berichte unterzeichnen und genehmigen, die (i) falsche Angaben zu nicht-finanziellen Informationen, Konfliktmineralien und Kinderarbeit machen oder keine Berichte vorlegen oder (ii) der Pflicht zur Aufbewahrung und Dokumentation der Berichte nicht nachkommen, können mit einer Geldstrafe von bis zu 100'000 CHF belegt werden (Art. 325ter StGB). Bei Fahrlässigkeit beträgt die maximale Busse 50'000 CHF. Alle Verwaltungsratsmitglieder von meldepflichtigen Unternehmen können sich strafbar machen. Im Falle von Kinderarbeit und Konfliktmineralien können auch Verwaltungsräte von KMU als Täter in Frage kommen.
Implikationen
Herausforderungen
Für viele Unternehmen stellt die verlässliche und dokumentierte Identifizierung, Analyse und Bewertung von nicht-finanziellen Auswirkungen und wesentlichen Risiken eine grosse Herausforderung dar. Die Unternehmen verfügen möglicherweise noch nicht über die erforderlichen Managementsysteme und es fehlen ihnen die Daten, die die Grundlage für eine wirksame Sorgfaltsprüfung, Leistungsmessung und Risikobewältigungsind. Auch die Einführung eines Managementsystems für den Handel mit Konfliktmineralien oder Kinderarbeit wird für viele Unternehmen, und insbesondere für alle solche mit einem offensichtlichen Kinderarbeitsrisiko, Neuland sein. Die neue Strafvorschrift übt zusätzlichen Druck auf die Unternehmen und ihre oberste Führungsebene aus, verlässliche, vollständige und genaue sowie von unabhängiger Seite geprüfte oder auditierte Berichte zu veröffentlichen.
Zeitplan
Im Jahr 2023 müssen alle Unternehmen, die den Vorschriften zur nichtfinanziellen Transparenz unterliegen, eine wirksame Sorgfaltsprüfung durchführen und gegebenenfalls Korrekturmassnahmen ergreifen. Im Jahr 2024 müssen alle Verwaltungsratsmitglieder den nichtfinanziellen Bericht unterzeichnen und ihn den Aktionären zur Genehmigung vorlegen. Die Aktionäre werden den Verwaltungsratsmitgliedern vertrauen, wenn sie den Bericht genehmigen. Die Nagelprobebesteht dann in den Reaktionen der Stakeholder. Ihre Aufnahme des Berichts wird den Verwaltungsratsmitgliedern und Managern schnell zeigen, ob sie gute Arbeit geleistet haben. Ich bin überzeugt, dass die Verwaltungsratsmitglieder und das Management gute Arbeit leisten werden. Und dass sie ihre Ärmel bereits hochgekrempelt haben.
Hinweis: Der Text wurde aus der Originalsprache Englisch ins Deutsche übersetzt. Der englische Originaltext ist massgebend und hier verfügbar .
Daniel Bühr
ist Partner bei der Anwaltskanzlei LALIVE (Genf, Zürich, London) und verfügt über langjährige Erfahrung in der Beratung und Vertretung von Unternehmen in komplexen nationalen und internationalen Regulierungsprojekten und Rechtsstreitigkeiten. Er ist Mitglied der ISO-Expertenkomitees für "Governance of organizations" und "Compliance management systems" und unter anderem Gründungsmitglied der International Academy of Financial Crime Litigators.
Referenzen
Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März 1911 (Stand am 1. Januar 2022), SR 220.
Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit (VSoTr) vom 3. Dezember 2021 (Stand am 1. Januar 2022), SR 221.443.