Die Triple-Bottom-Line (TBL) der unternehmerischen Verantwortung, bekannt durch den britischen CSR-Vordenker John Elkington (1994), ist wesentliches Element der Nachhaltigkeitsdiskussion: Unternehmen sollen sozial- und umweltverantwortlich wirtschaften und dazu wirtschaftlich erfolgreich sein, so die gängige Kurzdefinition der drei Felder unternehmerischer Verantwortung. Unter die Bilanz der Gewinn- und Verlustrechnung des Unternehmens soll bildlich gesprochen ein dreifacher Schlussstrich gezogen werden, der ökologisches und soziales Engagement einbezieht. So populär und schlüssig dieser Ansatz auf den ersten Blick erscheint, er hat einen zentralen Denkfehler.
Das Nachhaltigkeits-Paradox
Im klassischen und gerne zitierten forstwirtschaftlichen Verständnis nach von Carlowitz (1713) bedeutet Nachhaltigkeit, aus einem System nicht mehr zu entnehmen, als diesem zu seiner Regeneration zurückgeführt wird. Nur so ist es überlebensfähig und kann dauerhaft bestehen. In diesem Sinne werden in der Fachdiskussion ökologische und soziale Nachhaltigkeit verstanden: Natur und Mensch sollen nicht mehr geben, als sie für ihren Selbsterhalt zurückbekommen. Auch für ökonomische Nachhaltigkeit scheint dies auf den ersten Blick stimmig: Ein Unternehmen kann und soll hier nicht mehr einsetzen, als zurückfliesst. Alles andere würde den Prinzipien des ökonomischen Wirtschaftens widersprechen. Was aus ökonomischer Perspektive richtig ist, ist aus Nachhaltigkeitsperspektive allerdings falsch. Denn bei genauer Betrachtung stellt sich die Frage: Warum geht es bei sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit um Umweltsysteme, auf ökonomischer Ebene aber um das Unternehmen selbst? Warum bleibt das ökonomische Umfeld des Unternehmens ausgeblendet? Wo bleibt die Frage nach der volkswirtschaftlichen Nachhaltigkeit? Denn auch hier gilt das Prinzip des Nehmens und Gebens zwischen Unternehmen und gesellschaftlichem Umfeld. Die Erklärung scheint einfach: An dieser Stelle schiebt sich Inside-Out-Perspektive der Unternehmensplanung vor die Outside-In-Perspektive: Nachhaltigkeit muss sich ein Unternehmen leisten können, so der Grundgedanke.
Unbequeme Nachhaltigkeitsfragen
Wird nämlich Nachhaltigkeit im Carlowitz’schen Sinne konsequent zu Ende gedacht, dann muss sich ökonomische Nachhaltigkeit auf die Wechselbeziehungen zur Volkswirtschaft und deren Teilsystemen beziehen. Unternehmen nutzen gesellschaftliche Infrastruktur, sind danach auch verpflichtet, eine angemessene Gegenleistung zu deren Fortbestehen zu erbringen und müssen sich am Erbrachten messen lassen: in der globalisierten Welt mit Steueroasen, Kostenverlagerung und Verlustvorträgen, Subunternehmertum, Leiharbeit und anderen kostenreduzierenden Unternehmensstrategien ein unbequemes Thema. Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen und zu sichern, ist eine Seite dieser Medaille, dem Soziotop einer Gemeinde oder Region, deren Infrastruktur ein Unternehmen nutzt, Gewerbesteuern für den wirtschaftlichen Ertrag vorzuenthalten, eine andere. Smarte Modelle zur Steigerung von Gewinnen haben nur wenig mit volkswirtschaftlicher Nachhaltigkeit zu tun. Sie bieten im Gegenteil massive Skandalisierungspotenziale, die der Resonanzboden der Medien- und Netzöffentlichkeit dankbar nutzt und in die Gesellschaft hineinträgt.
Vorbild Mittelstand
Vorboten dieser Prozesse sind auf globaler Ebene bereits unterwegs: Die Flüchtlingssituation in Afrika ist auch die Folge eines mangelnden volkswirtschaftlichen Nachhaltigkeitsdenkens einzelner Konzerne – mit fatalen Folgen für Afrika und Europa. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Konzerne mit ihrer Vorstellung von Zusammenwirken von Wirtschaft und Gesellschaft skandalisiert werden, am Pranger stehen und sich deren Bedingungen des Wirtschaftens massiv negativ ändern werden. Die digitalisierte Welt ist kommunikationspolitisch nichts anderes als ein globales Dorf unterschiedlicher Kulturen. Es gehört zum Nachhaltigkeits-Paradox, dass vieles von dem, was normative CSR-Regelungen von Konzernen für deren Berichterstattung einfordern, von mittelständischen Unternehmen längst gelebt wird und gelebt werden muss, weil sie enger in die gesellschaftlichen Soziotope eingebunden sind und selbst von ihrer volkswirtschaftlich ausgerichteten ökonomischen Nachhaltigkeit profitieren. Sie benötigen hier nicht nur ein gutes Arbeitgeber-Image, sondern für Entwicklung und Expansion auch eine gute Qualität von Infrastruktur und Beziehungen.
Das neue Nachhaltigkeits-Denken
Dieses „neue Nachhaltigkeits-Denken“ ist also im Grunde nichts Neues. Und auch die Kritik an der TBL nicht: Norman & MacDonald etwa haben das Konzept 2004 als irreführend und nichts anderes als eine „good old-fashioned Single Bottom Line plus vague commitments to social and environmental concerns“ (S. 255) bezeichnet, den Nachhaltigkeitsansatz aber nicht grundsätzlich infrage gestellt. Das Nachhaltigkeits-Denken bedarf eines radikalen und konsequenten Paradigmen- Wechsels. Die bekannte Formel „People (Soziales) + Planet (Ökologie) = Profit (Ökonomie)” ist unvollständig. Gesellschaft und Volkswirtschaft brauchen Unternehmen und umgekehrt: „People“ meint Humankapital, „Planet“ Naturkapital, „Profit“ aber muss sich entsprechend auf gesellschaftliches Beziehungskapital beziehen: Auf allen drei Ebenen geht es um Geben und Nehmen. Gemeinsam bestimmen sie die Bedingungen des Wirtschaftens, weil sie als Umfeld und Einflussfaktoren auf das Unternehmen zurückwirken. Nachhaltiges Wirtschaften ist also Selbstzweck und nicht Wohlwollen. Es basiert auf einer Geschäftspolitik, die bewusst mit den Ressourcen Mensch, Umwelt und Volkswirtschaft umgeht, weil diese ihr Wirtschaften und ihre Zukunftsfähigkeit überhaupt erst sichern. Wie bei der Wirtschaftlichkeit geht es auch hier um Risiken und Chancen. Diese sollten der eigentliche Gegenstand zeitgemässer Nachhaltigkeitsberichterstattung sein, die der betriebswirtschaftlichen Innensicht die gesellschaftliche Aussensicht des Unternehmens
gegenüberstellt, die Rechenschaft über die Möglichkeiten und Grenzen des Wirtschaftes im Kontext unternehmerischer Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability) im Umgang mit Mensch, Umwelt und Volkswirtschaft gibt.
Mehrwert (noch) nicht verstanden
Nur wer in diesen TBL-Bereichen über eine ausgeglichene Bilanz verfügt, wird dauerhaft und mit Perspektive in Markt und Gesellschaft bestehen können. Unterdeckungen auf der Gewinnseite sind dabei genauso problematisch wie Überdeckungen. Denn wenn sich Argumente auf ökonomisches Gewinnstreben reduzieren, wird Akzeptanz fragwürdig und Skandalisierung wahrscheinlich. An dieser Stelle setzt soziales Risk-Management an. Natürlich spielt auch Macht in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Nicht umsonst sollen im Rahmen der Neuordnung der Nachhaltigkeitsberichterstattung Konzerne normativ für etwas an die Kandare genommen werden, was in mittelständischen Unternehmen längst gelebt wird. Dass Regelwerke wie der Deutsche Nachhaltigkeitskodex gerade diese strategische Dimension offenlassen und stattdessen nur gängiges Sozialverhalten festschreiben, wird Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit der betroffenen Konzerne sein. Es ist aber auch Ausdruck davon, dass sie den unternehmenspolitischen Mehrwert einer zukunftsgerichtetenNachhaltigkeitsorientierung (noch) nicht verstanden haben. Wer gross ist und Macht hat, kann Wettbewerb und Sanktionierbarkeit punktuell ausser Kraft setzen. Die dabei gewonnene Sicherheit aber ist trügerisch, wie in Deutschland Energiekonzerne schmerzhaft lernen mussten und die Autoindustrie gerade zu lernen beginnt. Nachhaltigkeitsstrategien fordern ein weitschauendes Bewusstsein, sich hiergegen abzusichern – eigentlich das, was Unternehmenspolitik leisten sollte.
Modell der neuen Triple-Bottom-Line
Für Elkingtons Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit (1998) finden sich in der Literatur verschiedene grafische Darstellungen. Das hier für den modifizierten Ansatz gewählte Modell des segmentierten Dreiecks (Abb. 1) bietet die Möglichkeit, unternehmerische Nachhaltigkeit als wesentliches, aber abstrakt ‚unsichtbares‘ inneres Dreieck ins Zentrum zu stellen, um welches herum sich die drei Dreiecke des sozialen, volkswirtschaftlichen und ökologischea Nachhaltigkeitshandelns gruppieren. Unternehmerische Nachhaltigkeit ist mehr als die Summe dieser Teile. Sie bedeutet gleichzeitig, dass sich das Nachhaltigkeitshandeln am mittel- und langfristigen Unternehmensnutzen orientiert, der von der Ertragsfähigkeit und Gesellschaftsfähigkeit bestimmt wird: Nur wer gesellschaftsfähig ist, kann unter dem Strich auch ertragsfähig sein, weil ein ausreichendes Beziehungskapital (Akzeptanz, Wertschätzung, Kooperationsbereitschaft) hierfür Voraussetzung ist. Dies bedeutet für die neue Triple-Bottom-Line, dass hier nicht mehr zwei zusätzliche Bilanzstriche gezogen werden. Vielmehr werden hier zunächst zwei Bilanzen nebeneinandergestellt, unter die jeweils ein eigener Bilanzstrich gezogen wird: die klassische Finanzbilanz als betriebswirtschaftliche Nachhaltigkeitsbilanz (innere Perspektive), die Auskunft über die Ertragsfähigkeit gibt, und die gesellschaftliche Nachhaltigkeitsbilanz (äussere Perspektive), die Auskunft über die Integrationsfähigkeit gibt. Unter diese Gegenüberstellung von Realkapital und Beziehungskapital wird ein abschliessender dritter Strich gezogen, der das Verhältnis dieser beiden Seiten bestimmt und Auskunft über die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens gibt (Abb. 2).