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What for? Wesentlichkeitsanalyse als Ausgangspunkt der Nachhaltigkeitsberichterstattung und Treiber der Transformation

What for? Wesentlichkeitsanalyse als Ausgangspunkt der Nachhaltigkeitsberichterstattung und Treiber der Transformation

Die Wesentlichkeitsanalyse ist für die Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts von zentraler Bedeutung. Gleichzeitig bildet sie aber auch die Grundlage für die Befassung mit wichtigen Nachhaltigkeitsfragen im Unternehmen. Eine zeitnahe Umsetzung der doppelten Wesentlichkeit i.S.d. europäischen Vorgaben ist daher für Transformation und Berichterstattung essenziell.

von Christian Fink und Tatjana Oberdörster

August 2024


Multipler Ausgangspunkt: Wesentlichkeitsanalyse

Anhand der Wesentlichkeitsanalyse im Rahmen der CSRD i.V.m ESRS ermitteln Unternehmen die für sie wesentlichen und folglich berichtspflichtigen Nachhaltigkeitsinformationen. Die Ergebnisse der Wesentlichkeitsanalyse ausschliesslich zur Abgrenzung von Berichtsinhalten zu nutzen wäre indes ‚zu kurz gesprungen‘. Vielmehr sollten anhand der Analyseergebnisse auch die relevantesten Nachhaltigkeitsthemen identifiziert werden, die im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie adressiert und für die Konzepte, Massnahmen und Ziele formuliert werden. Erfolgt eine zielorientierte Umsetzung der Wesentlichkeitsanalyse im Unternehmen, kann diese durchaus als Treiber der nachhaltigen Transformation verstanden werden.

Das Konzept der doppelten Wesentlichkeit

Konzeptionell legt die europäische Regulatorik das Prinzip der doppelten Wesentlichkeit fest, welches zwei Dimensionen definiert: die finanzielle und die auswirkungsbezogene Wesentlichkeit. Die finanzielle Wesentlichkeit in der Nachhaltigkeitsberichterstattung stellt eine Erweiterung des Wesentlichkeitsverständnisses dar, welches bereits im Rahmen der finanziellen Berichterstattung seit vielen Jahren umgesetzt wird. Ein Nachhaltigkeitsthema wird danach als wesentlich eingestuft, wenn dadurch Risiken oder Chancen entstehen, die kurz-, mittel- oder langfristig einen wesentlichen Einfluss auf die finanzielle Lage und Entwicklung des Unternehmens haben oder haben können. Im Gegensatz dazu ist ein Thema auswirkungsbezogen wesentlich, wenn es sich auf die tatsächlichen oder potenziellen, positiven oder negativen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit – einschliesslich seiner vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette – auf Mensch oder Umwelt bezieht.

Eine zentrale Auslegungsfrage für die zielgerichtete Umsetzung der Wesentlichkeitsanalyse ist die Art der Verknüpfung der beiden Wesentlichkeitsdimensionen. Aufgrund der nicht ganz eindeutigen Formulierung in den v.a. deutschsprachigen Übersetzungen der Regulatorik, die auch Einzug in das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz aus dem Jahr 2017 gefunden haben, ging das Gros der Berichtersteller von einer additiven Verknüpfung der beiden Dimensionen aus. Ein Nachhaltigkeitsthema ist demnach nur wesentlich, wenn es sowohl finanziell als auch auswirkungsbezogen wesentlich ist. Dies führte in der Folge dazu, dass der Umfang der berichtspflichtigen und der als wesentlich identifizierten Nachhaltigkeitsthemen radikal eingeschränkt wurde – denn Wesentlichkeit kann damit nur unterstellt werden, wenn ein Nachhaltigkeitsthema das Unternehmen auch finanziell beeinträchtigt.

Die Neuregelung der Nachhaltigkeitsberichtspflichten, die für die ersten berichtspflichtigen Unternehmen in Europa bereits für das Berichtsjahr 2024 anzuwenden ist, stellt nun klar:


Die beiden Wesentlichkeitsdimensionen sind nicht additiv, sondern alternativ zu verstehen. 


Entsprechend ist ein Nachhaltigkeitsthema wesentlich, wenn es entweder in finanzieller Hinsicht oder auswirkungsbezogen als wesentlich einzustufen ist. Damit unterliegen Nachhaltigkeitsthemen, die von der Unternehmenstätigkeit wesentlich beeinflusst werden, selbst dann der Berichtspflicht, wenn sie keine nennenswerten finanziellen Auswirkungen für das Unternehmen haben. Mit Blick auf die nachhaltige Transformation sollte dieses Wesentlichkeitsverständnis eine deutlich differenziertere Befassung mit Nachhaltigkeitsfragen in den Unternehmen ermöglichen.

Wesentlichkeitsverständnis und CSRD-Readiness

Eine grundlegende Frage bzgl. der CSRD-Readiness der bereits ab 2024 berichtspflichtigen kapitalmarktorientierten Grossunternehmen ist, welches Wesentlichkeitsverständnis diese ihren Analysen bislang zugrunde gelegt haben. Wurden die Wesentlichkeitsdimensionen bis dato additiv genutzt, ist im Rahmen der CSRD-Umsetzung eine weitreichende Umstrukturierung der internen Prozesse zur Identifikation berichtspflichtiger Daten erforderlich.

Die von den Autoren durchgeführte Analyse der veröffentlichten nicht-finanziellen Erklärungen der DAX 40-Unternehmen (Geschäftsjahr 2023) zeigt, dass bei 17 Unternehmen das Wesentlichkeitsverständnis in der Berichterstattung noch als additiv unterstellt werden kann. Dies bedeutet, dass die Ausführungen ein solches Wesentlichkeitsverständnis klar kommunizieren oder zumindest hinreichend wahrscheinlich implizieren. Im Gegensatz dazu konnte bei nur 5 Unternehmen ein alternatives Wesentlichkeitsverständnis („Oder“-Verknüpfung) hinreichend sicher entnommen werden. Die Ausführungen der restlichen 17 Unternehmen lassen aufgrund ihrer teils unkonkreten, teils oberflächlichen und damit wenig aussagekräftigen Formulierungen keine hinreichend belastbare Einschätzung zu. Ein Unternehmen konnte nicht in die Analyse einbezogen werden, da es von der nicht-finanziellen Berichterstattung befreit war.

Nachholbedarf bei der Umsetzung der doppelten Wesentlichkeit

Wer eine spezifische Zielgruppe ansprechen will, sollte wissen, wie sich diese charakterisieren lässt. Die Studienergebnisse zeigen, dass die Relevanz sozialer und ökologischer Themen abhängig von Demographie und der Sinus-Milieu-Verortung der Zielgruppen ist. Themenschwerpunkte sollten daher zielgruppenspezifisch gewählt werden. Ein Beispiel solcher Bewertungsunterschiede zeigt das Schaubild, in dem die Relevanz der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitsthemen auf Basis verschiedener Bildungsniveaus dargestellt wird.


Weitere Einblicke in die Analyse der veröffentlichten nicht-finanziellen Erklärungen der DAX 40-Unternehmen gewähren Prof. Dr. Oberdörster und Prof. Dr. Fink am CCIR Forum Reporting vom 26. und 27. September 2024 in Frankfurt am Main.

Das CCIR Forum 2024 stellt die Zukunft der Berichterstattung in den Fokus: Gestaltung und Kommunikation, Reporting als Mittel zur strategischen Wertschöpfung sowie Trends und Innovationen (AI).

Weitere Informationen zum Forum finden Sie hier.


Weiterführende Informationen

Ein gutes Beispiel für ein alternatives Wesentlichkeitsverständnis kann dem Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht 2023 der Porsche AG entnommen werden. Dort wird ein Thema als wesentlich eingestuft, „sobald in diesem Bereich entweder die Auswirkungen des Porsche AG Konzerns auf Umwelt und Gesellschaft […] oder die Risiken und Chancen für die finanzielle Situation des Porsche AG Konzerns […] als wesentlich einzuschätzen sind“.

Zum Bericht von Porsche


Prof. Dr. Christian Fink

ist Professor für externes Rechnungswesen und Controlling an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden und Mitglied des HGB-Fachausschusses des Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee e.V.

Prof. Dr. Tatjana Oberdörster

ist Professorin für Rechnungswesen und Vizepräsidentin für Studium und Lehre an der Westfälischen Hochschule.