von Michael Bänziger
Die Geschäftsberichte-Saison 2019 ist Geschichte, der Jahrgang verspricht einiges. Reportingspezialisten weltweit atmen auf – deutlich hörbar, wenn das Mikrofon im letzten Videomeeting noch eingeschaltet ist – und realisieren gleichzeitig, dass die Produktion der kommenden Halbjahresberichte bereits in den Startlöchern steht.
Wir haben für Sie zahlreiche Geschäftsberichte gelesen – von gedruckten Broschüren über gefaltete Flyer bis hin zu programmierten Landschaften und multimedialen Erlebnissen. Fest steht: Der Trend zur Digitalisierung akzentuiert sich in den aktuellen Berichten weiter. Wir stellen Ihnen als Inspiration drei Geschäftsberichte vor, die uns dieses Jahr durch Inhalt, Format oder Gestaltung besonders aufgefallen sind. Wir wünschen Ihnen eine inspirierende Lektüre für Ihren nächsten Bericht! Übrigens: Das Schweizer Geschäftsberichte-Rating wird dieses Jahr erstmals auch die sprachliche Ebene bewerten.
Inhalt: Swiss Football League
Fussballbegeisterte brauchen noch ein wenig Geduld: Die UEFA EURO 2020 wird erst 2021 stattfinden können. Vor dem Bildschirm kann man zwar Traumtore und Szenen von früheren Saisons virtuell aufleben lassen, aber schlussendlich geht nichts über das Livefeeling im Stadion mit Bier und Bratwurst.
Die Swiss Football League (SFL) ist eine Abteilung des Schweizerischen Fussballverbandes (SFV) und veröffentlicht einen eigenständigen Geschäftsbericht – dieses Jahr mit dem Fokus VAR (Video Assistant Referee). Sie kennen die neueste Geste im Fussball: Wenn der Schiedsrichter ein Rechteck in den Himmel zeichnet, wird das Manöver im Regieraum genau untersucht und ihm die Entscheidung dann per Funk mitgeteilt.
Die HTML-Microsite – im rechteckigen Layout – spielt gekonnt Pässe zwischen dem Bericht der Geschäftsleitung und den sportlichen Inhalten: Während im Berichtsteil unter anderem die formellen Prozesse der VAR-Einführung beleuchtet werden (Generalversammlung, Abstimmungen), veranschaulicht der Schwerpunktteil mittels Fotos, Infografiken, Videos und Interviews die neuen Abläufe im Spiel. Im finanziellen Lagebericht wird der «Digitalisierungsschritt» in Zahlen dargestellt, jedoch nicht, ohne auf einfach verständliche Diagramme zu verzichten.
Die Digitalisierung ist im Fussball angekommen – und im Jahresbericht von SFL eindrücklich in Szene gesetzt. Erwähnenswert ist zudem, dass sich die Publikation speziell an Clubpräsidenten, Nationalräte, Verbandsfunktionäre und Sportjournalisten richtet. Diese diversen Zielgruppen dürften nicht nur ihre Interessen in den Inhalten wiederfinden, sondern auch durch die verfügbare Printversion optimal erreicht werden.
Bilder: Hej
Format: NZZ
Stichwort Sportjournalisten: Wussten Sie, dass die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) nun erstmals mehr Digital- als Printabonnements verkauft hat?
Dies verrät der aktuelle Geschäftsbericht des traditionsreichen Medienhauses. Er präsentiert die wichtigsten Informationen in leicht lesbaren Diagrammen auf einer Microsite und verlinkt auf ausführlichere PDFs, die alle in einem dreispaltigen Zeitungslayout gehalten sind. Wer die Printversion bestellt, erhält eine richtige Zeitung mit Beilagen. Hier wird – verglichen mit der NZZ-Tagesausgabe – den Inhalten viel Freiraum eingeräumt. Grosse Bilder und Schriften zeigen, dass Print nach wie vor die Aufmerksamkeit des Lesers gewinnt. Auf weiterführende, multimediale Inhalte wird mittels dezenter, kleiner QR-Codes verwiesen.
Während viele Firmen auf Hochglanz setzen, wirkt der Bericht auf Zeitungspapier vertraut und authentisch. Nur der Finanzbericht kommt mit leicht glänzender Oberfläche, was den positiven Gesamteindruck aber nicht schmälert – im Gegenteil: Die Berichtsformate machen das Image der NZZ und ihrer verschiedenen Publikationen direkt erlebbar.
Der Online-Report hat noch Ausbaupotenzial, doch ist die Digitalisierung ohne Zweifel auch bei der NZZ im Vormarsch. Papier ist und bleibt für die NZZ aber ein wichtiges Medium. Der Bericht ist ein schönes Projekt, das den Anspruchsgruppen der Zeitung auf Augenhöhe begegnet.
Bilder: Noord
Gestaltung: Vetropack
Den Durchblick haben Sie – wortwörtlich – im integrierten Geschäftsbericht von Vetropack, denn hier dreht sich alles um Glas. Die Fotos sind beeindruckend, bildschirmfüllend, ja es dürstet den Leser geradezu nach mehr Informationen.
Das Spezielle am Bericht ist auf den ersten Blick aber nicht sichtbar. Aufmerksamen Usern fällt vielleicht auf, dass die Microsite sehr strukturiert und aufgeräumt gestaltet ist – und im Web und PDF erstaunlich gleich, wenn auch mediengerecht, daherkommt. Die Datei wird nämlich auf Basis der Website generiert und berücksichtigt auch alle Produktstories, interaktiven Elemente und Hintergründe. Digitalisierung und crossmediale Ausspielung neu gedacht – lohnt sich die technische Umsetzung?
Wir haben mit Gert Schröder, CEO der Agentur NeidhartSchön, die für Konzeption, Design, System und Programmierung verantwortlich ist, gesprochen.
Gert Schröder, wie funktioniert die «digitale Spezialität» im Vetropack-Report?
Die Inhalte des Geschäftsberichts sind im Online-Report vollständig in HTML aufgelöst und somit für die Suchmaschinen lesbar. Die digitale Umsetzung ist grosszügig gestaltet und voll responsiv. Das PDF wird vollautomatisiert auf Basis der Inhalte der Website generiert. Dies erfordert zwar das individuelle Formatieren jedes Inhaltselements, doch nach diesem Schritt ist keine weitere menschliche Einflussnahme notwendig – weder im aktuellen Jahr noch in den Folgejahren.
Weshalb hat sich NeidhartSchön für diese Umsetzung entschieden?
Der grosse Vorteil liegt darin, dass nur eine Inhaltsquelle im Content-Management-System bearbeitet werden muss. Bei Geschäftsberichten gibt es zwar nach der Publikation in der Regel keine Änderungen mehr, aber im Entstehungsprozess erspart man sich das Hantieren mit Preview-Links und die Korrekturen auf einzelnen Ausgabeformaten. Das PDF bildet auf Knopfdruck den Status quo ab und kann bequem in die Vernehmlassung geschickt werden. Selbstverständlich können die Änderungen auch in der Online-Version jederzeit nachverfolgt werden. Zudem hatte unser Kunde den Anspruch, den Content 1:1 in verschiedenen Formaten zu publizieren, ohne ihn inhaltlich anpassen bzw. kürzen zu müssen. Technisch ist der Prozess sehr einfach: Der Kunde erhält ein «WYSIWYG»-CMS («What you see is what you get»), das bereits mit den letztjährigen Inhalten gefüllt ist. Er kann dann diese Inhalte nach der kurzen Schulung selbst editieren.
Wohin geht der Trend im Bereich Reporting bezüglich Kanalmix?
Einige Auftraggeber stellen nach der Digitalisierung ihres Reports eine gewisse Ernüchterung fest, da sie nun erstmals sehen, welche und wie viele Inhalte ihres Berichts tatsächlich gelesen werden. Wir empfehlen, die erarbeiteten Inhalte auf verschiedenen Kanälen zu nutzen, also mehrfach auszuspielen, was Traffic generiert und so den Geschäftsbericht belebt. Dies erfordert aber einen an den Stakeholdern ausgerichteten Kanal- und Redaktionsplan.
Wie sieht für dich ein «integrierter Bericht» aus?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass jeder Kunde ein anderes Verständnis hat. Für mich persönlich steht im Zentrum, dass der integrierte Bericht nicht nur monetäre, sondern auch nichtfinanzielle Aspekte beleuchtet. Die wesentlichen Themen eines Business sollen aufgegriffen, thematisch bearbeitet und über mehrere Jahre hinweg weiterverfolgt werden. Im Entstehungsprozess mit Vetropack war das Management-Beratungsunternehmen Sustainserv an Bord – es war eine sehr gute Zusammenarbeit, die auch uns neue Perspektiven eröffnet hat.
Bilder: NeidhartSchön
Weiterführende Informationen
In der Best Practice Session Form vor Inhalt? – «Packaging sells» am Online Geschäftsberichte-Symposium vom 24. Juni 2020 wird diskutiert, wie Design dazu beiträgt, dem Inhalt die gewünschte Aufmerksamkeit zu verschaffen, und wie Content aus dem Geschäftsbericht effizient im Jahresverlauf genutzt werden können.
Michael Bänziger ist als Projektleiter für verschiedene Kommunikations- und Marketingmassnahmen verantwortlich und unterstützt das Center for Corporate Reporting (CCR) im Research bei Mitgliederanfragen, Events und Forschungsprojekten. Er absolvierte den Master in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Zürich, sammelte Marketing-Know-how bei NGOs und in der Forschung und verfügt über langjährige Praxiserfahrung als Eventorganisator und Webdesigner.